Metadaten

Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0044
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

Ernst Hoffmann:

Real-‘Explikation’ ausschließt; vor allem aber ist zu bedenken,
daß jene Spätform des Platonismus, die wir fast nur aus Aristoteles
kennen, am gewaltigen Ganzen des Platonischen Werkes gemessen,
nur ein, wenn auch noch so fundamentales Einzel-Problem der
Ideenlehre betrifft. Es ist das folgende: Wenn ‘das Mathematische^
für alle Dianoetik vorbildlich ist* 1, wenn es gleichsam prototypisch
die Mitte hält zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit, wenn alle
deduktive Logik ihr Muster an der Mathematik, alle dihäretische
Logik das ihre an der Zahlenlehre findet, wenn der Mathematik
dergestalt eine einzigartige Zugkraft nach dem Sein hin zukommt
(sXxtoxov 7TocvTa7ta<n Ttpöc; ouolav Resp. 523a), so bedarf dieser
methodische Primat des Mathematischen einer besonderen Fundie-
rung im Gefüge der ganzen Ideenlehre. Diese Aporie vornehmlich
mußte Platon versuchen zu lösen, und der Versuch liegt vor in
seinem Lehrstück von den Idealzahlen als den Erkenntniselementen
für die natürlichen Objekte. Diese Idealzahlen mögen für ihn das
unbedingte Muster abgegeben haben sowohl für die Ordnung im
Ideenreich wie für ihre Erforschung2; daß aber die Kategorie des
Quantums in der ganzen Ideenlehre alle anderen Gesichtspunkte
schließlich verdrängt und die früheren Positionen, die gerade aus
kategorialem Reichtum3 stammten, kassiert habe, dies wäre ein
Ungedanke4, für den auch quellenmäßig jeder Anhalt fehlt. Der
Leben zu führen. Vgl. A. Weiher, Die metaphysischen Grundlagen der
Platonischen Nomoi. Bavr. Bl. f. d. Gymn. Schulwesen 1934, S. 145f. Die
entscheidende Stelle ist X, 897bff., sie zeigt deutlich, daß Seele prinzipiell
für Platon blieb, was sie immer gewesen war: Organ der Entscheidung über
den zu wählenden Weg.
1 Resp. VI, 510c — 5'lla; 524 b.
2 Hingegen ‘entstehen’ die natürlichen Objekte nicht aus Zahlen,
sondern nach dem Timaios aus den fünf Elementarkörpern, auf welche
die Methexis primär konzentriert ist.
3 Schon die Beobachtung des sprachlichen Ausdrucks zeigt, daß für
das Wesen des TtipocQ nicht nur das ttooov, sondern ebenso das tcolov, ttco<g, tct)
usw. für Platon Gegenstand der Forschung war. Die mathematische Methode
prävaliert aus den beim Liniengleichnis angegebenen Gründen; aber das
Quantum bleibt nur ein Gesichtspunkt neben anderen. Kennzeichnend z. B.
Phileb. 17b: oufP ou to aTeipov ocü-r/jq; l'agev out)-’ ou to sv, &XK’ ou -kogoc te
ecru xcd orcoaa. Wer den ursprünglichen Platonismus als durch die Spätform
von Platons Lehre aufgehoben betrachtet, gleicht denen, welche die Kritik der
Urteilskraft für einen Beweis halten, daß Kant ‘über die Positionen der
beiden ersten Kritiken hinausgewachsen sei’.
4 Gerade so verkehrt als wenn jemand sagen wollte, Platon habe früher
ausschließlich politisch spekuliert, später ausschließlich mathematisch. Was
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften