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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0066
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62

Ernst Hoffmann:

wie der literarischen Darstellung; und man braucht, um solche
angebliche Rezeption von Irrationalitäten im sogenannten griechi-
schen Intellektualismus zu verstehen, weder für Platon noch für
die Vorplatoniker direkten Import von Osten her zu beanspruchen,
es handelt sich vielmehr einfach um Gefühle der Abhängigkeit
von übermenschlichen Gewalten, die keiner griechischen Seele
fremd waren. Nirgends steht bei Platon zu lesen, daß ein Mensch
allein von Noetik leben und gedeihen könne oder solle1. Vielmehr
erfordert Philosophie als toxiSeioc und Tpocp-y) im allgemeinen Sinne
ihrer edukatorischen und den Menschen formenden Aufgabe, daß
auch Bild und Gleichnis, Mythos und Epitapliios, Gebet und Ge-
dicht, Biographie und Geschichte verwendet werden, damit immer
wieder neue Formen sich finden lassen, um zum Zweck des Gedei-
hens der menschlichen Seele Wahres in menschlicher Weise auszu-
sagen. Denn das Seelisch-Vernünftige muß in der Zeit wachsen;
also zeitliche Mittel zu finden ist nötig, aber solche, in denen
Ewiges gespiegelt wird. Anders aber steht es um die Philosophie,
sofern Bildung und Erziehung des philosophischen Menschen kul-
minieren sollen in de’1 ‘Loslösung’ (kuaip) des Menschen aus dem
Zwange des bloßen Empfindlings- und Meinungslebens, der unsere
Vernunft wie in Fesseln geschlagen hält und gewaltsam unsere
Gedanken der Schwingen und ihrer Freiheit beraubt. ‘Denken’
kann man nach Platon nur in der noetischen Sphäre. ‘Das’ Sinn-
liche kann man nicht denken, sondern nur ‘über’ Sinnliches nach-
denken. Und ‘den’ Gott kann man gleichfalls nicht denken, son-
dern nur von den Ideen aus zu ihm hindenken. Reines Denken
bleibt Sache dialektischer Wissenschaft und muß für sich selber
stehen. Erst der sieht das Platonproblem scharf und zutreffend,
der bemerkt, mit welcher Eindeutigkeit der Philosoph die metho-
dische Systematik und Tmematik seiner Lehre gegen alle vagen,
auf Einheit drängenden Lebensmächte und Weltahnungen abge-
dichtet hat, um ihnen erst dann einen Zugang zu gewähren2, wenn
1 Vgl. erstens Phileb. 62 b, wo die ganze Wucht zu beachten ist, welche
dieser Stelle im Zusammenhang der ‘Zulassung aller Wissensfächer’ eignet;
zweitens ‘praeclarum illud Platonis’ (Cicero De offic. I, 63): toxok sma-rrjfXT)
XCopi^ogevT) 8ixaioaüv7]<; xai aX)ct]Q dcpsTTjc; Trocvoupyloc, oü aocploc cponvsToa Menex. 247 a.
Dazu K. Oppenheimer, Zwei attische Epitaphien, Diss. Berlin 1932,
S. 34.
2 Zugang zum Ganzen seiner Kunst, aber nicht seiner dihäretischen Syste-
matik. Und darauf kommt es an. Hingegen im Hellenismus dringen Mantik,
Magie, Mystik ins System selber ein: Vogelflug als Zeichen für die Lex natu-
 
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