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Ernst Hoffmann:
Welt konstituiert ist1. Speusippos dachte die Gottheit psycho-
logistisch, Xenokrates kosmogonistisch, Aristoteles intellektua-
listisch. Platon aber hatte seinen Gottesbegriff allen diesen drei
Begrenzungen entzogen, wie es der Überbegriff des S7cexeiva er-
forderte.
Schien Platons Ideenbegriff für die spätere Mystik besonders
insofern einen Ansatz zu gewähren, als der in Hinblick auf Ideen
stattfindende Erkenntnisprozeß sich nach Ansicht der Mystiker
bis zu einem Auf gehen und einer verschmelzenden Versenkung in
reine Ideenschau übersteigern ließ; und bot zweitens der Begriff
des göttlich-Einen insofern Möglichkeit zu mystischer Umbildung,
als die Teilhabe des ‘Anderen’ am ‘Einen’ in zeitentrückter Dimen-
sion, von Platon als logische Atopie und nur als Glied einer Anti-
nomie gekennzeichnet, den Späteren zum metaphysischen Erlebnis
wurde, so leistete drittens Platons Begriff der Erscheinungswelt
der radikalen Mystik Dienste, um alles Räumliche und Stoffliche
als unwirklich ins Nichts versinken zu lassen. In der Tat ist bei
Platon der ‘Raum’ das Prinzip bloßer Möglichkeit2 für die Er-
scheinungen als Eidola; und somit ist er lediglich Substrat für Auf-
nahme von Kopieen, also notwendig Ursache einer Täuschung
für ‘echte’ Erkenntnis, deren Ziel im Eidos liegt. Während die
‘Zeit’ wenigstens für den philosophischen Mythos die Züge eines
geschaffenen Abbildes der Ewigkeit trägt, da sie Bedingung für
Wachsen und gedeihliches Werden des Lebendigen ist, gegliedert
in ihrer Bewegung nach Tagen, Monaten und Jahreszeiten, also
ein Gefüge, das dem echtes Werden gliedernden Logos standhält,
kann der Raum selber nicht einmal unmittelbar Abbild sein, son-
dern er kann nur als Bastardbegriff angesprochen werden. Raum
und Zeit gibt es beide nur in der entstandenen Welt, nicht im An-
sich-seienden; aber die Zeit hat Methexis am Sein, der Raum nicht.
Er ist nichts als schlechthin aufteilbar; er ist ungegliedert, un-
wesenhaft; er ist nicht Vater, nicht Mutter der Erscheinungen,
sondern nur wie eine Amme3 *, die das Gezeugte übernimmt; er
ist ein immerwährendes und unzerstörbares Nichtsein, in dem sich
1 Metaph. 1074b 34; vgl. 1072b 21: tcxütov vovq xal vot)tov.
2 Vgl. A. Faust, Der Möglichkeitsgedanke (Heidelberg 1931) I, S. 46f.
3 Tim. 49a: nxarjq yzviaeoq utzoSox?) olov 'uIMjvt]. 52c: ox; etxovi gsv, i-Keinep
oöS5 ocüto toöto, ecp5 6> Yeyovsv) sauTYjp ecrav, exspou Ss xivoq äei cpspsxai <pavxocagoc,
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Ernst Hoffmann:
Welt konstituiert ist1. Speusippos dachte die Gottheit psycho-
logistisch, Xenokrates kosmogonistisch, Aristoteles intellektua-
listisch. Platon aber hatte seinen Gottesbegriff allen diesen drei
Begrenzungen entzogen, wie es der Überbegriff des S7cexeiva er-
forderte.
Schien Platons Ideenbegriff für die spätere Mystik besonders
insofern einen Ansatz zu gewähren, als der in Hinblick auf Ideen
stattfindende Erkenntnisprozeß sich nach Ansicht der Mystiker
bis zu einem Auf gehen und einer verschmelzenden Versenkung in
reine Ideenschau übersteigern ließ; und bot zweitens der Begriff
des göttlich-Einen insofern Möglichkeit zu mystischer Umbildung,
als die Teilhabe des ‘Anderen’ am ‘Einen’ in zeitentrückter Dimen-
sion, von Platon als logische Atopie und nur als Glied einer Anti-
nomie gekennzeichnet, den Späteren zum metaphysischen Erlebnis
wurde, so leistete drittens Platons Begriff der Erscheinungswelt
der radikalen Mystik Dienste, um alles Räumliche und Stoffliche
als unwirklich ins Nichts versinken zu lassen. In der Tat ist bei
Platon der ‘Raum’ das Prinzip bloßer Möglichkeit2 für die Er-
scheinungen als Eidola; und somit ist er lediglich Substrat für Auf-
nahme von Kopieen, also notwendig Ursache einer Täuschung
für ‘echte’ Erkenntnis, deren Ziel im Eidos liegt. Während die
‘Zeit’ wenigstens für den philosophischen Mythos die Züge eines
geschaffenen Abbildes der Ewigkeit trägt, da sie Bedingung für
Wachsen und gedeihliches Werden des Lebendigen ist, gegliedert
in ihrer Bewegung nach Tagen, Monaten und Jahreszeiten, also
ein Gefüge, das dem echtes Werden gliedernden Logos standhält,
kann der Raum selber nicht einmal unmittelbar Abbild sein, son-
dern er kann nur als Bastardbegriff angesprochen werden. Raum
und Zeit gibt es beide nur in der entstandenen Welt, nicht im An-
sich-seienden; aber die Zeit hat Methexis am Sein, der Raum nicht.
Er ist nichts als schlechthin aufteilbar; er ist ungegliedert, un-
wesenhaft; er ist nicht Vater, nicht Mutter der Erscheinungen,
sondern nur wie eine Amme3 *, die das Gezeugte übernimmt; er
ist ein immerwährendes und unzerstörbares Nichtsein, in dem sich
1 Metaph. 1074b 34; vgl. 1072b 21: tcxütov vovq xal vot)tov.
2 Vgl. A. Faust, Der Möglichkeitsgedanke (Heidelberg 1931) I, S. 46f.
3 Tim. 49a: nxarjq yzviaeoq utzoSox?) olov 'uIMjvt]. 52c: ox; etxovi gsv, i-Keinep
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