Platonismus und Mystik im Altertum.
93
an der Idee der Gerechtigkeit auf dem Wege politischer Philosophie
realisiert und so weit über die empirischen Staatserscheinungen
emporgehoben wird, daß es mit dem Kennzeichen eines zwar
tief unter den Ideen zurückbleibenden, aber hoch über den Fluß
der Erscheinungen hinausgehobenen psaov ausgestattet ist. Und
die Kopula im Urteile hat seelisches Gefüge. Jenes ‘ist’, durch
welches wir S und P, Besonderes und Allgemeines, letztlich also
Erscheinung und Idee synthetisch vereinen, es ist Potenz der Seele,
grundsätzliche, tiefste Funktion des rein-Seelischen, welches
prädikativ Einheiten zu setzen und sich über Ja und Nein zu ent-
scheiden hat. Die Kopula lautet ‘ist’, nicht weil sie selber schon
reines Sein der Idee wäre, sondern weil sie als Interposition zwischen
S und P die Methexis von S an P auf den logisch adäquaten Aus-
druck bringt. Und der Kosmos des Timaios hat Seele, ja er vor
allem in größtem Maßstabe. Eros, Staat, Kopula, alle drei hatten
bindende Funktion. Aber der Kosmos des Timaios hat sie in be-
sonderem Maße. Die Kopula bindet das im Subjekte bezeichnete
Einzelne an die allgemeinen Prädikate, durch welche Ideen ver-
treten werden. Der Staat bindet die erscheinende Sphäre der
faktischen Gewalt an die auf den Ideenbereich bezogene philo-
sophische Einsicht. Eros verbindet das Reich der Triebe mit dem
Reich der reinen Formen, des Schönen an sich. Aber der Timaios
verbindet die Welt mit Gott:
Es soll ein Weltbegriff gedacht werden, der die Welt als Tota-
lität begreift, der weder Summe der Erscheinungen noch ‘Idee’
der Welt ist, sondern das allumfassende Metaxy zwischen beiden.
Nicht Erscheinungen, sondern Totalität der Erscheinungen. Nicht
Idee, sondern maximales und optimales Abbild der Ideenwelt.
Weder Werden noch Sein, sondern gewordenes Sein. Weder
ewig noch vergänglich, sondern entstanden und unvergänglich,
ein sichtbarer Gott.
Diese Aufgabe kann nicht durch Aisthetik, nicht durch
Noetik gelöst werden. Der Begriff des Kosmos ist für Platon
eine logische Paradoxie. Kosmos ist das Wort, durch welches
wir aussagen, daß die allem Einzelnen vorgeschriebene Methexis
im Ganzen der Erscheinungen bereits als Vollendung gegeben ist.
Mit Kosmos meinen wir das, was den Fluß der Erscheinungen in
sich enthält und selber dennoch nicht fließt. Derselbe Platon,
der die Logik als Dialektik gegründet hatte, und die Ethik als
Dianoetik, er gründet nun die Physik als Mytliopoiie. Die Physik
93
an der Idee der Gerechtigkeit auf dem Wege politischer Philosophie
realisiert und so weit über die empirischen Staatserscheinungen
emporgehoben wird, daß es mit dem Kennzeichen eines zwar
tief unter den Ideen zurückbleibenden, aber hoch über den Fluß
der Erscheinungen hinausgehobenen psaov ausgestattet ist. Und
die Kopula im Urteile hat seelisches Gefüge. Jenes ‘ist’, durch
welches wir S und P, Besonderes und Allgemeines, letztlich also
Erscheinung und Idee synthetisch vereinen, es ist Potenz der Seele,
grundsätzliche, tiefste Funktion des rein-Seelischen, welches
prädikativ Einheiten zu setzen und sich über Ja und Nein zu ent-
scheiden hat. Die Kopula lautet ‘ist’, nicht weil sie selber schon
reines Sein der Idee wäre, sondern weil sie als Interposition zwischen
S und P die Methexis von S an P auf den logisch adäquaten Aus-
druck bringt. Und der Kosmos des Timaios hat Seele, ja er vor
allem in größtem Maßstabe. Eros, Staat, Kopula, alle drei hatten
bindende Funktion. Aber der Kosmos des Timaios hat sie in be-
sonderem Maße. Die Kopula bindet das im Subjekte bezeichnete
Einzelne an die allgemeinen Prädikate, durch welche Ideen ver-
treten werden. Der Staat bindet die erscheinende Sphäre der
faktischen Gewalt an die auf den Ideenbereich bezogene philo-
sophische Einsicht. Eros verbindet das Reich der Triebe mit dem
Reich der reinen Formen, des Schönen an sich. Aber der Timaios
verbindet die Welt mit Gott:
Es soll ein Weltbegriff gedacht werden, der die Welt als Tota-
lität begreift, der weder Summe der Erscheinungen noch ‘Idee’
der Welt ist, sondern das allumfassende Metaxy zwischen beiden.
Nicht Erscheinungen, sondern Totalität der Erscheinungen. Nicht
Idee, sondern maximales und optimales Abbild der Ideenwelt.
Weder Werden noch Sein, sondern gewordenes Sein. Weder
ewig noch vergänglich, sondern entstanden und unvergänglich,
ein sichtbarer Gott.
Diese Aufgabe kann nicht durch Aisthetik, nicht durch
Noetik gelöst werden. Der Begriff des Kosmos ist für Platon
eine logische Paradoxie. Kosmos ist das Wort, durch welches
wir aussagen, daß die allem Einzelnen vorgeschriebene Methexis
im Ganzen der Erscheinungen bereits als Vollendung gegeben ist.
Mit Kosmos meinen wir das, was den Fluß der Erscheinungen in
sich enthält und selber dennoch nicht fließt. Derselbe Platon,
der die Logik als Dialektik gegründet hatte, und die Ethik als
Dianoetik, er gründet nun die Physik als Mytliopoiie. Die Physik