Platonismus und Mystik im Altertum.
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tragen konstitutiven Charakter für alle Erkenntnis des Werdens
und der Entwicklung. Hieraus aber ergibt sich zwingend: Mit der
Aristotelischen Sinndeutung von Aktualität, Finalität, Potentia-
lität ist die erste Bedingung für die Trinitätsspekulation des spät-
antiken Platonismus bereits in begrifflicher Anlage gegeben, und
Jamblichus dachte Aristotelisch, wenn er ouoia, Suva[u<; und svsp-
Yslgc triadisch faßte1.
Die zweite Bedingung wird durch das Pythagoreisieren der
Akademie nach Platons Tode geliefert, d. h. durch das Übergehen
der Akademie von einer Philosophie der 'Gestalt’ zu einer Philo-
sophie der 'Zahl’2. Aristoteles und Xenokrates3, die beide gemein-
sam die Akademie verlassen hatten, mußten zwar in ihrer eigenen
Zeit als Gegensätze wirken; denn Xenokrates versuchte, den Plato-
nismus gerade nach der Seite der Zahlenspekulation weiterzubilden,
welche Aristoteles wie alles andere mathematische Kolorit des
Platonismus verwarf; Aristoteles hingegen unternahm es, den Pla-
tonismus von seinen mythischen und dämonologischen Bestand-
teilen zu entkleiden, in deren Betonung und Erweiterung gerade
Xenokrates4 die Zukunft des Platonismus erblickte. So schien
1 Vgl. Wilamowitz, Proklos u. Synesios, S.B. Pr. Akad. 1907, XIV,
S. 285.
2 Zahl und Gestalt sind die charakteristischen Ausdrücke, die Kant ver-
wendet, um Pythagoreismus und Platonismus zu differenzieren: 'Es war also
die Mathematik, über welche Pythagoras sowohl als Plato philosophierten, in-
dem sie alles Erkenntnis a priori (es möchte nun Anschauung oder Begriff
enthalten) zum Intellektuellen zählten .... Wie bei Plato die Wunder der
Gestalten (der Geometrie), so erweckten bei Pythagoras die Wunder der Zahlen
(der Arithmetik), d. i. der Anschein einer gewissen Zweckmäßigkeit und eine
in die Beschaffenheit derselben gleichsam absichtlich gelegte Tauglichkeit zur
Auflösung mancher Vernunftaufgaben der Mathematik .... die Aufmerk-
samkeit’. Kant glaubt, Platon 'schwebte ohne Zweifel, obzwar auf eine dunkle
Art, die Frage vor .... Wie sind synthetische Sätze a priori möglich ?’ Aber
Platon wie Pythagoras waren für Kant Philosophen, die 'auf ein Geheimnis
zu stoßen glaubten, wo kein Geheimnis ist: nicht, weil die Vernunft alle an
sie ergehende Fragen beantworten kann, sondern weil ihr Orakel verstummt,
wenn die Frage bis so hoch gesteigert worden, daß sie nun keinen Sinn mehr
hat.’ 'Die Philosophie des Aristoteles ist dagegen Arbeit’; er ist'Zergliederer
aller Erkenntnis a priori in ihre Elemente und Vernunftkünstler, sie wieder
daraus, den Kategorien, zusammenzusetzen.’ Von einem neuerdings erhobenen
vornehmen Ton. Werke VI (Cassirer) S. 480ff.
3 S. ob. S. 64. Über die 'Sezession’ des Aristoteles und Xenokrates vgl.
W. Jaeger, Aristoteles, S. 112.
4 Xenokrates bei Aetius Plat. I, 7, 30 (Frg. 15 Heinze) lehrt das Drei-
fache des Göttlichen auf folgende Weise: Erstens gibt es drei Götter, denn (A)
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tragen konstitutiven Charakter für alle Erkenntnis des Werdens
und der Entwicklung. Hieraus aber ergibt sich zwingend: Mit der
Aristotelischen Sinndeutung von Aktualität, Finalität, Potentia-
lität ist die erste Bedingung für die Trinitätsspekulation des spät-
antiken Platonismus bereits in begrifflicher Anlage gegeben, und
Jamblichus dachte Aristotelisch, wenn er ouoia, Suva[u<; und svsp-
Yslgc triadisch faßte1.
Die zweite Bedingung wird durch das Pythagoreisieren der
Akademie nach Platons Tode geliefert, d. h. durch das Übergehen
der Akademie von einer Philosophie der 'Gestalt’ zu einer Philo-
sophie der 'Zahl’2. Aristoteles und Xenokrates3, die beide gemein-
sam die Akademie verlassen hatten, mußten zwar in ihrer eigenen
Zeit als Gegensätze wirken; denn Xenokrates versuchte, den Plato-
nismus gerade nach der Seite der Zahlenspekulation weiterzubilden,
welche Aristoteles wie alles andere mathematische Kolorit des
Platonismus verwarf; Aristoteles hingegen unternahm es, den Pla-
tonismus von seinen mythischen und dämonologischen Bestand-
teilen zu entkleiden, in deren Betonung und Erweiterung gerade
Xenokrates4 die Zukunft des Platonismus erblickte. So schien
1 Vgl. Wilamowitz, Proklos u. Synesios, S.B. Pr. Akad. 1907, XIV,
S. 285.
2 Zahl und Gestalt sind die charakteristischen Ausdrücke, die Kant ver-
wendet, um Pythagoreismus und Platonismus zu differenzieren: 'Es war also
die Mathematik, über welche Pythagoras sowohl als Plato philosophierten, in-
dem sie alles Erkenntnis a priori (es möchte nun Anschauung oder Begriff
enthalten) zum Intellektuellen zählten .... Wie bei Plato die Wunder der
Gestalten (der Geometrie), so erweckten bei Pythagoras die Wunder der Zahlen
(der Arithmetik), d. i. der Anschein einer gewissen Zweckmäßigkeit und eine
in die Beschaffenheit derselben gleichsam absichtlich gelegte Tauglichkeit zur
Auflösung mancher Vernunftaufgaben der Mathematik .... die Aufmerk-
samkeit’. Kant glaubt, Platon 'schwebte ohne Zweifel, obzwar auf eine dunkle
Art, die Frage vor .... Wie sind synthetische Sätze a priori möglich ?’ Aber
Platon wie Pythagoras waren für Kant Philosophen, die 'auf ein Geheimnis
zu stoßen glaubten, wo kein Geheimnis ist: nicht, weil die Vernunft alle an
sie ergehende Fragen beantworten kann, sondern weil ihr Orakel verstummt,
wenn die Frage bis so hoch gesteigert worden, daß sie nun keinen Sinn mehr
hat.’ 'Die Philosophie des Aristoteles ist dagegen Arbeit’; er ist'Zergliederer
aller Erkenntnis a priori in ihre Elemente und Vernunftkünstler, sie wieder
daraus, den Kategorien, zusammenzusetzen.’ Von einem neuerdings erhobenen
vornehmen Ton. Werke VI (Cassirer) S. 480ff.
3 S. ob. S. 64. Über die 'Sezession’ des Aristoteles und Xenokrates vgl.
W. Jaeger, Aristoteles, S. 112.
4 Xenokrates bei Aetius Plat. I, 7, 30 (Frg. 15 Heinze) lehrt das Drei-
fache des Göttlichen auf folgende Weise: Erstens gibt es drei Götter, denn (A)