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Ernst Hoffmann:
Grieche, wenn er Bewahrung vor dem (christlichen) Menschentyp
der aSenji&eoi avSpec; erfleht* 1. Und wo er mit Glaube, Wahrheit
und Hoffnung die Liebe zusammennennt2, da ist ein Eros gemeint,
der anderen Wesens ist als die Agape des Paulus.
Proklos war ein Gelehrter, dem Weisheit und Buch-
wissen dasselbe waren; schriftliche Tradition heiliger Lehren
galt ihm als Quelle einer Offenbarung. Im Kommentie-
ren fand er die seiner Gesinnung gemäße Ausdrucksform, und
seine Wirksamkeit hatte ihren Mittelpunkt in der athenischen
‘Schule’ Platons, deren Charakter damals esoterischer war als zur
Zeit ihres Gründers. Niemand hat dem Christentum soviel Dialektik
geschenkt wie er, der der Erzfeind des neuen Glaubens war. Ein
ganz anderes Bild bietet Synesios von Kyrene3, der aus philosophi-
scher Überzeugung Christ wurde und aus Religiosität Platoniker
blieb; der in griechischer Philosophie wie in christlicher Glaubens-
lehre die persönliche Verantwortlichkeit des Jasagens gleichermaßen
ernst nahm und, indem er sowohl den Neuplatonismus wie das Chri-
stentum bekannte, nach keiner von beiden Seiten hin Zugeständnisse
machte. Obwohl Bischof, versagte er dem Dogma der Auferstehung
die Anerkennung; obwohl stoisierender Platoniker, verwarf er die
Autarkie, die beim Tode des eigenen Kindes gelassen bleibt. Er
fühlte die persönliche Nähe Christi, aber jenes philosophischen Chri-
stus, der bei der Weltschöpfung anwesend war; er griff im Unglück
zu Epiktet, aber er las ihn als Erbauungsbuch. Ihm leuchtete die
Dreigestalt4 des Gottwesens auf, und in der Einheit (govap)
des göttlichen Wesens waren ihm die drei Personen nicht
lösen und ersetzen wollen, sondern daß Platons gesamte Methode und Wissen-
schaft bei Proklos gültig bleibt und z. B. die Ansprüche der Ethik nicht, wie bei
den Christen, angesichts der höheren, religiösen Pflichten an entscheidender
Wucht verlieren.
1 Hymn. 3, 17 und 3, 12.
2 Liebe, Wahrheit und Glaube bildet die Trias des mystischen Aufstiegs.
In Tim. 212, 21 (Diehl) tritt die Hoffnung dazu: mcrav xal äkrjü-eiav xal spcrra,
Toa>T7]v sxeivrjv t9)v vpiaSa, xal eXtzlSoc züv dcya-ücSv.
3 Migne, P. G. 66. Heinr. Ritter, Gesch. der christl. Philos. I, S. 187
bis 191. 0. Bardenhewer, Gesch. der altkirchl. Literatur IV, S. 110—122.
G. Grützmacher, Synesios v. Kyrene, Leipzig 1913. Wilamowitz, Sitzungs-
ber. Preuß. Ale. d. W. 1907, XIV, S. 277—295. Otto Karrer, Der mystische
Strom. Von Paulus bis Thomas v. Aquin, München 1925, S. 204—214.
E. Norden, Die antike Kunstprosa, S. 861 ff.
4 Hymn. II, 26 TpicpuTjq eXajzijie p.opcpa.
Ernst Hoffmann:
Grieche, wenn er Bewahrung vor dem (christlichen) Menschentyp
der aSenji&eoi avSpec; erfleht* 1. Und wo er mit Glaube, Wahrheit
und Hoffnung die Liebe zusammennennt2, da ist ein Eros gemeint,
der anderen Wesens ist als die Agape des Paulus.
Proklos war ein Gelehrter, dem Weisheit und Buch-
wissen dasselbe waren; schriftliche Tradition heiliger Lehren
galt ihm als Quelle einer Offenbarung. Im Kommentie-
ren fand er die seiner Gesinnung gemäße Ausdrucksform, und
seine Wirksamkeit hatte ihren Mittelpunkt in der athenischen
‘Schule’ Platons, deren Charakter damals esoterischer war als zur
Zeit ihres Gründers. Niemand hat dem Christentum soviel Dialektik
geschenkt wie er, der der Erzfeind des neuen Glaubens war. Ein
ganz anderes Bild bietet Synesios von Kyrene3, der aus philosophi-
scher Überzeugung Christ wurde und aus Religiosität Platoniker
blieb; der in griechischer Philosophie wie in christlicher Glaubens-
lehre die persönliche Verantwortlichkeit des Jasagens gleichermaßen
ernst nahm und, indem er sowohl den Neuplatonismus wie das Chri-
stentum bekannte, nach keiner von beiden Seiten hin Zugeständnisse
machte. Obwohl Bischof, versagte er dem Dogma der Auferstehung
die Anerkennung; obwohl stoisierender Platoniker, verwarf er die
Autarkie, die beim Tode des eigenen Kindes gelassen bleibt. Er
fühlte die persönliche Nähe Christi, aber jenes philosophischen Chri-
stus, der bei der Weltschöpfung anwesend war; er griff im Unglück
zu Epiktet, aber er las ihn als Erbauungsbuch. Ihm leuchtete die
Dreigestalt4 des Gottwesens auf, und in der Einheit (govap)
des göttlichen Wesens waren ihm die drei Personen nicht
lösen und ersetzen wollen, sondern daß Platons gesamte Methode und Wissen-
schaft bei Proklos gültig bleibt und z. B. die Ansprüche der Ethik nicht, wie bei
den Christen, angesichts der höheren, religiösen Pflichten an entscheidender
Wucht verlieren.
1 Hymn. 3, 17 und 3, 12.
2 Liebe, Wahrheit und Glaube bildet die Trias des mystischen Aufstiegs.
In Tim. 212, 21 (Diehl) tritt die Hoffnung dazu: mcrav xal äkrjü-eiav xal spcrra,
Toa>T7]v sxeivrjv t9)v vpiaSa, xal eXtzlSoc züv dcya-ücSv.
3 Migne, P. G. 66. Heinr. Ritter, Gesch. der christl. Philos. I, S. 187
bis 191. 0. Bardenhewer, Gesch. der altkirchl. Literatur IV, S. 110—122.
G. Grützmacher, Synesios v. Kyrene, Leipzig 1913. Wilamowitz, Sitzungs-
ber. Preuß. Ale. d. W. 1907, XIV, S. 277—295. Otto Karrer, Der mystische
Strom. Von Paulus bis Thomas v. Aquin, München 1925, S. 204—214.
E. Norden, Die antike Kunstprosa, S. 861 ff.
4 Hymn. II, 26 TpicpuTjq eXajzijie p.opcpa.