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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0028
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Ernst A. Schmidt

entscheiden, weil er eine Entscheidung als Verzicht auf eine der beiden
Alternativen für eine Verkürzung der Wahrheit gehalten hätte. Zwei
verschiedene Versionen können nur dann nicht beide wahr sein, wenn es
sich um historische oder gerichtliche Faktenaussagen handelt. Aber
Deutungen komplexer und uneinheitlicher Sachverhalte können oder
müssen sogar divergieren bzw. die Gesamtdeutung eines komplexen
Phänomens kann sich aus scheinbar alternativen Einzelaussagen zusam-
mensetzen. Ovid macht hier, narrativ und scheinbar historisch, eine
komplexe anthropologische Aussage.
Die philosophische Aussage steht an erster Stelle. Das ist thematisch
auch ganz natürlich: sie schließt sich sprachlich, von den Vorstellungen
her und der narrativen Logik nach geradlinig an die ganze bisherige Kos-
mogonie stoischer1"1 Provenienz an. Zu „ille opifex rerum, mundi melio-
ris origo“ (v. 79) vgl. v. 21. 32. 57; „divino semine“ (v. 78) = σπέρμα des
σπερματικός λόγος (= θεός = νοΰς) der Stoiker.16 Jeder andere ,Schöp-
fungsbericht4 hätte den Leser überrascht, und ein Element der Überra-
schung liegt selbst hier in dem Signal des „sive“ vor, das diese Erzählung
zwar nicht von vornherein zur Disposition stellt, sie aber in Einschrän-
kung ihrer alleinigen Gültigkeit als eine Deutung unter anderen, als eine
Grundmöglichkeit, eine Teilwahrheit zu erkennen gibt.
So sehr diese erste Version dem Tenor der ganzen Schöpfungserzäh-
lung entspricht - ist sie nicht zu positiv, zu idealisierend, zu monistisch,
um die Wahrheit über den Menschen zu sein? Ovid läßt ihr sogleich eine
Version folgen, die eine leichte Modifikation darstellt.
Im Prometheusmythologem ist der himmlische Samen (vgl. v. 81 mit
78) nicht der Ursprung, sondern nur eine Beimischung in der Töpfererde.
Der Mensch ist also nicht schon eigentlich göttlich, wie es nach der ersten
Alternative hätte scheinen können, sondern trägt etwas Göttliches in sich
und ist als solcher den Göttern verwandt und auf sie ausgerichtet. Diese
Beziehung wird von Ovid in drei Variationen ausgesprochen:
1. Die Götter lenken das All, die Menschen herrschen über die ande-
ren Lebewesen. Daß v. 77 „dominari in cetera“ und v. 83 „moderantum
cuncta deorum“ als Analogie gedacht sind, bestätigt der Umstand, daß
die Götter Lenker der Welt gerade im Zusammenhang mit der Ähnlich-
keit von Menschen und Göttern in v. 83 (der zweiten Variation der Bezie-
und Akzentuierung der jeweiligen Geschichte nur als thematische Entfaltung des
Musenprologs verstanden werden.
15 Vgl. Anm. 31.
16 So auch met. 1,81 „semina caeli“; anders v. 9 „semina rerum“ = στοιχεία.
 
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