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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0074
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Ernst A. Schmidt

ditionelle14 15 Sprache deutlich, daß Ovid etwas (heute) Vorhandenes mit
einer (Verwandlungs-)Geschichte erklärt, ebenso wie die hellenisti-
schen aitiologischen Erzählungen etwas Gegenwärtiges mit Metamor-
phosen und Institutionalisierungen aus einer erzählten Geschichte be-
gründen und dabei von dem in der Erzählung erreichten Zustand (oder
ihrer rituellen Wiederholung) sagen, daß er ,bis heute4 oder ,noch heute4
andaure. Die Verbindung von ,heute4 (Augustus) mit ,Urzeit4 (sogleich
nach Erlegung des Drachen Python) läßt auch ohne Apollos Gebrauch
von Vorstellungen wie „semper44 und „perpetuus44 erkennen, daß das
Gegenteil von heraklitischem Fluß gemeint ist, nämlich ein festes Seien-
des, das heute so ist, wie es war und wie es sein wird, ein Dauerzustand.
,Lorbeer bleibt Lorbeer4 bedeutet einerseits, daß die verwandelte
Daphne nicht weiter und wieder verwandelt wird (aber das ist das selbst-
verständlich mit aitiologischer Metamorphose Mitgegebene und wird
hier von mir nur in Abwehr anderer Metamorpüose/zdeutungen betont)
und andererseits (eben das ist erst Ovids poetische Absicht): der heutige
Lorbeer im Kult Apollos bewahrt als Resultat einer Geschichte deren
Sinn: Apollo liebt den Lorbeer, und in dieser Liebe ist die Spannung sich
verweigernder Jungfräulichkeit und männlichen Begehrens aufgehoben.
In der hellenistischen Tradition galt die aitiologische Neugier lokalen
Besonderheiten in Kult und Brauch und überhaupt Merkwürdigkeiten
und Anomalien (einem Gegenstand, Sachverhalt, einem Namen).13
14 Damit wird nicht abgestritten, daß diese sprachlichen Elemente von Ovid gegenüber der
Tradition auch umgedeutet werden und Persistenz des Ursprünglichen in der Metamor-
phose bezeichnen. Vgl. zum „Vocabulary of Continuity“ in diesem letzteren Sinn An-
derson (1963), Multiple Change, S. 4f. Das aber heißt wiederum, daß das von Anderson
aufgeführte Vokabular nicht nur in der von ihm benannten, sondern auch in der (alten)
aitiologischen Funktion gebraucht wird. Im Einzelfall mag die Zuweisung sogar schwie-
rig sein: denn wenn etwas von der alten Gestalt in der neuen ,bleibt' (e.g. „manebit"
met. 1,710-712), dann impliziert das auch das Bleiben eben der neuen Gestalt selbst.
Analoges gilt auch für die anderen Ausdrücke. Vgl. Loehr (1990), Aitiolog. Dichten,
S. 95 mit Anm. 10 auf S. 152f.
15 Am nächsten steht Ovid dieser aitiologischen Tradition wohl in seinen Versteinerungen,
einem Verwandlungstyp, der im ganzen Werk präsent ist und in den Perseusgeschichten
sich geradezu rauschhaft wiederholt. Denn die Steinverwandlungen führen in der Regel
auf individuelle Felsen, Klippen, Steinformationen mit geographischer Lokalisierung
und sind oft weder durch die Steinmetapher für Menschlich-Psychisches (Gefühllosig-
keit, Schamlosigkeit, Erstarrung, Unerschütterlichkeit) noch durch menschlich-körper-
liche Metaphorik für Aspekte des Steins (,Ader‘) miteinander verbunden, sondern er-
klären das menschliche Aussehen einzelner Felsen bzw. das eigentümliche Aussehen
bestimmter Steinformen menschlich und narrativ zugleich als Versteinerung eines Men-
schen in einer Bewegung und mit einem bestimmten Gesichtsausdruck. Solches ,Ver-
 
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