78
Wolfgang Raible
4.3 Junktion durch abnehmende Finitheit
Die Beispiele aus einzelnen Sprachen, die in Abschnitt 4.1 behandelt
wurden, standen unter der Perspektive der Koaleszenz als eines wichti-
gen Faktors der Junktion. Bei der Behandlung dieser Beispiele hat sich
gezeigt, daß zur Koaleszenz ein weiterer Faktor hinzukommt, der sich
im Laufe der vorliegenden Überlegungen als mindestens ebenso wichtig
erweisen wird: derjenige der relativen Finitheit oder Infinitheit von Ver-
ben. Die Veränderung der Finitheit ist bei der Integration in den drei
möglichen Formen aufgetreten: [1] Als eine „Steigerung“ der Finitheit
durch Enunziative im Gaskognischen. Dabei werden insbesondere die
„Hauptverben“ durch das zusätzliche Finitheitsmerkmal des Enunzia-
tivs que „finiter“, komplementär dazu die Verben ohne Enunziativ „infi-
niter“. [2] Bei der Technik der anaphorischen Ellipse blieb die Finitheit
der Verben gleich - das Verfahren funktioniert nur dann optimal, wenn
die Verben die Person- und Numerusmerkmale des Erst-Aktanten
grammematisch ausdrücken und so den durch „Null-Anapher“ wieder-
aufgenommenen Erst-Aktanten ersetzen können. [3] Der Faktor einer
reduzierten Finitheit hat sich schon bei der Hopi-Satzverkettung be-
merkbar gemacht, dann verstärkt in den Fällen, in denen Serialisierung
im Mittelpunkt stand, schließlich in 4.1.5, wo es am Beispiel des Prin-
cipe-, des Mauritius-Kreol und des Papiamento ausdrücklich um „Redu-
zierung von Finitheit“ im Rahmen von Koaleszenz ging. Im Abschnitt
über das Mauritius-Kreol (4.1.5) war - anhand der Arbeit von Marie-
Anne Nickau - sogar schon von einer Finitheitsskala die Rede. Im Pa-
piamento kam dabei ein suphuntivo zur Sprache, d.h. ein Modus als
Signal für reduzierte Finitheit. Ihm könnte man einen ersten Unterab-
schnitt dieses Abschnitts 4.3 widmen, zumal er bei der Entwicklung vom
Lateinischen zu den romanischen Sprachen hin eine wichtige Rolle
spielt. Da dieses Thema an anderer Stelle behandelt wurde, sei hier nur
pauschal darauf verwiesen77. Insgesamt dürfte freilich schon deutlich
sein, daß man Infinitheit auch als eine Spielart der Koaleszenz ansehen
kann. Von Koaleszenz war bisher die Rede bei der Überlappung von
aufeinanderfolgenden Sachverhaltsdarstellungen durch gleichbleibende
Partizipanten. Zunehmende Infinitheit führt dagegen zu zunehmender
Koaleszenz im Bereich der Partizip ata: Wenn dem Verb einer Sachver-
haltsdarstellung Finitheitsmerkmale, etwa Tempusmerkmale, fehlen,
inzidiert das betreffende Verb auf das Verb einer dazugehörigen Sach-
77 Vgl. Raible (1992 - Festschrift Szemerényi).
Wolfgang Raible
4.3 Junktion durch abnehmende Finitheit
Die Beispiele aus einzelnen Sprachen, die in Abschnitt 4.1 behandelt
wurden, standen unter der Perspektive der Koaleszenz als eines wichti-
gen Faktors der Junktion. Bei der Behandlung dieser Beispiele hat sich
gezeigt, daß zur Koaleszenz ein weiterer Faktor hinzukommt, der sich
im Laufe der vorliegenden Überlegungen als mindestens ebenso wichtig
erweisen wird: derjenige der relativen Finitheit oder Infinitheit von Ver-
ben. Die Veränderung der Finitheit ist bei der Integration in den drei
möglichen Formen aufgetreten: [1] Als eine „Steigerung“ der Finitheit
durch Enunziative im Gaskognischen. Dabei werden insbesondere die
„Hauptverben“ durch das zusätzliche Finitheitsmerkmal des Enunzia-
tivs que „finiter“, komplementär dazu die Verben ohne Enunziativ „infi-
niter“. [2] Bei der Technik der anaphorischen Ellipse blieb die Finitheit
der Verben gleich - das Verfahren funktioniert nur dann optimal, wenn
die Verben die Person- und Numerusmerkmale des Erst-Aktanten
grammematisch ausdrücken und so den durch „Null-Anapher“ wieder-
aufgenommenen Erst-Aktanten ersetzen können. [3] Der Faktor einer
reduzierten Finitheit hat sich schon bei der Hopi-Satzverkettung be-
merkbar gemacht, dann verstärkt in den Fällen, in denen Serialisierung
im Mittelpunkt stand, schließlich in 4.1.5, wo es am Beispiel des Prin-
cipe-, des Mauritius-Kreol und des Papiamento ausdrücklich um „Redu-
zierung von Finitheit“ im Rahmen von Koaleszenz ging. Im Abschnitt
über das Mauritius-Kreol (4.1.5) war - anhand der Arbeit von Marie-
Anne Nickau - sogar schon von einer Finitheitsskala die Rede. Im Pa-
piamento kam dabei ein suphuntivo zur Sprache, d.h. ein Modus als
Signal für reduzierte Finitheit. Ihm könnte man einen ersten Unterab-
schnitt dieses Abschnitts 4.3 widmen, zumal er bei der Entwicklung vom
Lateinischen zu den romanischen Sprachen hin eine wichtige Rolle
spielt. Da dieses Thema an anderer Stelle behandelt wurde, sei hier nur
pauschal darauf verwiesen77. Insgesamt dürfte freilich schon deutlich
sein, daß man Infinitheit auch als eine Spielart der Koaleszenz ansehen
kann. Von Koaleszenz war bisher die Rede bei der Überlappung von
aufeinanderfolgenden Sachverhaltsdarstellungen durch gleichbleibende
Partizipanten. Zunehmende Infinitheit führt dagegen zu zunehmender
Koaleszenz im Bereich der Partizip ata: Wenn dem Verb einer Sachver-
haltsdarstellung Finitheitsmerkmale, etwa Tempusmerkmale, fehlen,
inzidiert das betreffende Verb auf das Verb einer dazugehörigen Sach-
77 Vgl. Raible (1992 - Festschrift Szemerényi).