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Wolfgang Raible
Zweitens: Das typischerweise gleichzeitige „und dabei“ der Gerun-
dialformen verhindert eigentlich nur - und auch das nicht in allen Fällen
- den Ausdruck der Vor- und der Nachzeitigkeit. Beim Ausdruck der
Vorzeitigkeit - relativ zum Verb der als Bezugspunkt dienenden Sach-
verhaltsdarstellung - wird daher auf die Partizipialformen zurückgegrif-
fen, die in der Regel zwei Zeitstufen, teilweise sogar die Anzeige des
genus verbi zulassen. Was die Skala der Interpretierbarkeit von Gerun-
dialformen angeht, so wird das nachfolgende Kapitel III noch eingehen-
der die Verwandtschaft bestimmter Relationen zeigen und so deutlich
machen, warum etwa eine kausale Relation auch temporal oder kondi-
tional interpretierbar sein kann.
Drittens ist der Kontext, in dem die Gerundial- und Partizipialformen
stehen, entscheidend für die Möglichkeiten der inhaltlichen Ausdeu-
tung. Ein irrealer Kontext macht aus einem Gerundium den Teil eines
irrealen Bedingungsgefüges87. Zum Kontext gehört auch die Stellung
der Gerundial- oder Partizipialform relativ zu der Sachverhaltsdarstel-
lung, die als Referenzpunkt dient. Die (nicht mit Finalität zu verwech-
selnde) Relation der Folge - die, wenn sie nicht an strenge Nachzeitig-
keit gebunden ist, durchaus vorkommen kann - verlangt aus Gründen
der Ikonizität eher nach Nachstellung, die kausale Relation eher nach
Voranstellung des Gerundiums oder Partizips. Da Gerundial- und Parti-
zipialformen weitgehend Leerstellen für die Interpretation durch den
Rezipienten eröffnen, gehört zum Kontext selbstverständlich auch das
Weltwissen des einzelnen. Sind, wie etwa im ersten Beispiel für die ,Ge-
genursache4, keine zusätzlichen Signale vorhanden, so hängt die Ent-
scheidung für oder gegen eine kausale Interpretation allein davon ab,
was der Rezipient über das Verhältnis von Publizist und Autor weiß88.
87 Vgl. im selben Sinn Gregory T. Stump 1985:41 ff. Stump arbeitet schön die semantischen
und pragmatischen Faktoren heraus, die zu dieser oder jener Interpretation von Gerun-
dial-Formen führen. Das erste Beispiel, das oben unter ,Bedingung' angeführt ist, ist für
Stumps Thesen interessant: Gerundien von nicht-dynamischen Verben (Prototyp:
,sein‘) dürften eigentlich keine konditionale Relation zulassen. Immerhin, das Beispiel
lautet nicht siendo diputado, sondern en siendo diputado. - Die Zahl der ausdrückbaren
Relationen ist nach Stump je nach Kontext beträchtlich. Zum Kernbereich gehören
allemal Kausalität, Zeitrelation (Gleichzeitigkeit), Begleitumstände/Art und Weise,
Bedingung und Gegenursache.
88 Die sonst sehr gute französische Grammatik von Hans-Wilhelm Klein/ Hartmut Kleinei-
dam ist bei der Besprechung der Relationen, die durch Gerundialkonstruktionen ausge-
drückt werden können, sehr knapp. Angegeben werden nur ,temporaler', .konditiona-
ler' und - Restgruppe - .modaler' Gebrauch. Am Ende von §368 heißt es nur noch:
„Das Gérondif kann gelegentlich auch einen kausalen Sinn haben, der aber temporal
Wolfgang Raible
Zweitens: Das typischerweise gleichzeitige „und dabei“ der Gerun-
dialformen verhindert eigentlich nur - und auch das nicht in allen Fällen
- den Ausdruck der Vor- und der Nachzeitigkeit. Beim Ausdruck der
Vorzeitigkeit - relativ zum Verb der als Bezugspunkt dienenden Sach-
verhaltsdarstellung - wird daher auf die Partizipialformen zurückgegrif-
fen, die in der Regel zwei Zeitstufen, teilweise sogar die Anzeige des
genus verbi zulassen. Was die Skala der Interpretierbarkeit von Gerun-
dialformen angeht, so wird das nachfolgende Kapitel III noch eingehen-
der die Verwandtschaft bestimmter Relationen zeigen und so deutlich
machen, warum etwa eine kausale Relation auch temporal oder kondi-
tional interpretierbar sein kann.
Drittens ist der Kontext, in dem die Gerundial- und Partizipialformen
stehen, entscheidend für die Möglichkeiten der inhaltlichen Ausdeu-
tung. Ein irrealer Kontext macht aus einem Gerundium den Teil eines
irrealen Bedingungsgefüges87. Zum Kontext gehört auch die Stellung
der Gerundial- oder Partizipialform relativ zu der Sachverhaltsdarstel-
lung, die als Referenzpunkt dient. Die (nicht mit Finalität zu verwech-
selnde) Relation der Folge - die, wenn sie nicht an strenge Nachzeitig-
keit gebunden ist, durchaus vorkommen kann - verlangt aus Gründen
der Ikonizität eher nach Nachstellung, die kausale Relation eher nach
Voranstellung des Gerundiums oder Partizips. Da Gerundial- und Parti-
zipialformen weitgehend Leerstellen für die Interpretation durch den
Rezipienten eröffnen, gehört zum Kontext selbstverständlich auch das
Weltwissen des einzelnen. Sind, wie etwa im ersten Beispiel für die ,Ge-
genursache4, keine zusätzlichen Signale vorhanden, so hängt die Ent-
scheidung für oder gegen eine kausale Interpretation allein davon ab,
was der Rezipient über das Verhältnis von Publizist und Autor weiß88.
87 Vgl. im selben Sinn Gregory T. Stump 1985:41 ff. Stump arbeitet schön die semantischen
und pragmatischen Faktoren heraus, die zu dieser oder jener Interpretation von Gerun-
dial-Formen führen. Das erste Beispiel, das oben unter ,Bedingung' angeführt ist, ist für
Stumps Thesen interessant: Gerundien von nicht-dynamischen Verben (Prototyp:
,sein‘) dürften eigentlich keine konditionale Relation zulassen. Immerhin, das Beispiel
lautet nicht siendo diputado, sondern en siendo diputado. - Die Zahl der ausdrückbaren
Relationen ist nach Stump je nach Kontext beträchtlich. Zum Kernbereich gehören
allemal Kausalität, Zeitrelation (Gleichzeitigkeit), Begleitumstände/Art und Weise,
Bedingung und Gegenursache.
88 Die sonst sehr gute französische Grammatik von Hans-Wilhelm Klein/ Hartmut Kleinei-
dam ist bei der Besprechung der Relationen, die durch Gerundialkonstruktionen ausge-
drückt werden können, sehr knapp. Angegeben werden nur ,temporaler', .konditiona-
ler' und - Restgruppe - .modaler' Gebrauch. Am Ende von §368 heißt es nur noch:
„Das Gérondif kann gelegentlich auch einen kausalen Sinn haben, der aber temporal