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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0225
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VI. Ein nochmaliger Blick auf die Dimension ,Junktion‘

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kann. Im indogermanischen Bereich zählt zur üblichen, grammatikali-
sierten Maximalausstattung des Partizipatum die Spezifizierung nach
Person, Numerus, Genus Verbi, Modus, Tempus/Aspekt und Assertion
(Affirmation/Negation). Die Reduzierung der Finitheit einer Sachver-
haltsdarstellung kann zugleich als eine andere Art von Koaleszenz inter-
pretiert werden: In dem Maße, in dem die Finitheits-Merkmale der ei-
nen Sachverhaltsdarstellung wegfallen, gelten die Finitheits-Merkmale
der anderen weiter. Finitheit und Infinitheit sind also, dies ist hier noch-
mals zu unterstreichen, stets relative Begriffe1 2. Und ,Infinitiv4 ist nicht
gleich ,Infinitiv42.
Geringere Finitheit kann sich in diesem Zusammenhang in zweierlei
Weise einstellen: dadurch, daß die Zahl der Kategorien innerhalb eines
Spezifizierungsbereichs reduziert wird, oder dadurch, daß ganze Spezi-
fizierungsbereiche wegfallen. Wenn zum Beispiel für eine bestimmte
Form des Partizipatum von den Grundgrößen eines Tempussystems -
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft - nur noch Gegenwart und
Vergangenheit zugänglich sind, so ist die betreffende Form des Partizi-
patum bereits weniger finit. Hierauf - und auf weitere Arten von Finit-
heit/Infinitheit - wird unten in VI.2 und VI.4 erneut eingegangen wer-
den.
Ein erstes Beispiel soll nochmals das Wegfällen von Spezifizierungs-
bereichen sowie die Folgen verdeutlichen, die sich durch unterschiedli-
che Ausprägung solcher Spezifizierungsbereiche ergeben können. Im
Altgriechischen ist z.B. jedes „Partizip“ und jeder „Infinitiv“ zugäng-
lich in allen drei Genera Verbi (Aktiv, Medium, Passiv), und innerhalb
jeder dieser Diathesen in Präsens, Futur, Aorist und Perfekt. Es gibt
also theoretisch von jedem Verb 12 „Infinitiv“- und 12 „Partizipial“-
Formen3. Den griechischen Infinitiven und Partizipien fehlt also zur vol-
1 Vgl. hierzu auch die schönen Überlegungen bei Daniel Jacob 1990:177f.
2 Hierzu hat sich 1822 schon in einschlägiger Weise Wilhelm von Humboldt geäußert.
„Auch der Begriff des Infinitivs, wie ihn die Griechen und Römer kannten, wird den
meisten, wenn nicht allen Americanischen Sprachen nur durch Verwechslung mit ande-
ren Formen zugeschrieben.“ [Es folgen Beispiele.] „Aus diesen Beispielen folgt, daß
man in allen diesen Sprachen den Infinitiv nicht als eine eigene Form aufführen, sondern
vielmehr die Arten, durch welche er ersetzt wird, in ihrer wahren Natur darstellen, und
bemerken sollte, welche Bedingungen des Infinitivs durch jede derselben erfüllt werden,
da keine allen ein Genüge leistet.“ (von Humboldt 1822/1963:36f.).
3 Die griechischen „Infinitive“ sind, um hier ein praktisches Beispiel für die Relativität von
,Finitheit1 und ,Infinitheit‘ zu geben, im Vergleich zum arabischen Infinitiv, dem modus
uniformis, ein Ausbund an „Finitheit”. Gleichwohl hat der modus uniformis mit allen
 
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