236
Wolfgang Raible
veröffentlicht. Dieser Aufsatz ist hier u. a. deshalb wichtig, weil Talmy
Givön ihn 1990 als Basis für Überlegungen verwendet hat, deren kriti-
sche Rezeption geeignet ist, das Konzept der Finitheit aus Abschnitt 1
noch weiter zu differenzieren.
Der Beitrag von Hopper/Thompson organisiert sich gewissermaßen
um eine zentrale Lücke, nämlich um das gestaltpsychologische Konzept
der Prägnanz (oder den ebenfalls nicht genannten Begriff des Proto-
typs). Für die beiden Autoren ist die „prägnanteste“ (prototypische) Art
der Sachverhaltsdarstellung der zweiwertige (transitive) Aussagesatz
mit einer abgeschlossenen, ebenfalls „prototypischen“ Handlung zwi-
schen einem bewußt handelnden Agens und einem vom Vorgang betrof-
fenen Patiens-Individuum28. Es geht also um jene Sätze des Typs „Der
Bauer schlägt den Esel“ oder „the farmer killed the duckling“, die, nicht
ohne Grund, schon immer den Grammatikern als beliebte Beispiele ge-
dient haben29. Transitivität erweist sich dabei naturgemäß als ein skala-
rer Begriff. Stellt man nun, wie Talmy Givön es auf der Basis des Bei-
trags von Hopper/Thompson tut, eine Beziehung zwischen semantischer
Prägnanz und grammatischer Finitheit her, so würde gelten, daß Abge-
schlossenes „finiter“ ist als Nicht-Abgeschlossenes, Punktuelles „fini-
ter“ als Duratives, Wirkliches „finiter“ als Irreales etc.30. Systematisiert
man Givöns Darstellung, so läßt sich die folgende Matrix entwerfen, in
der in beiden Dimensionen eine relative „Finitheit“ das Ordnungskrite-
rium ist:
28 Im Sinne von Harald Weinrich würde es sich um die ,Subjekt-Partner-Valenz‘ handeln.
Vgl. oben Kapitel III.4.
29 Die Verbindung zur Gestalttheorie wird freilich hergestellt durch die textlinguistische
Einbettung der ganzen Überlegungen: Sachverhaltsdarstellungen mit einem hohen
Grad an Transitivität markieren den Vordergrund von Diskursen, intransitive Sachver-
haltsdarstellungen oder Sachverhaltsdarstellungen mit einem geringen Maß an Transiti-
vität bilden den Hintergrund, von dem der Vordergrund sich abhebt. „Gestaltpsycholo-
gisch“ ist also die zugrunde gelegte und grundlegende Dialektik von Gestalt und Hinter-
grund (Hopper/Thompson 1980:281 ff.). - Der zentrale Begriff bei Hopper/Thompson
ist derjenige der effectiveness. - Vgl. zum Begriff der Prägnanz im vorliegenden Zusam-
menhang auch René Thom (1985).
30 Vgl. Givön 1990:854f. und Hopper/Thompson (1980). - Vom gestaltpsychologischen
Begriff der Prägnanz her argumentiert im Grunde auch Ralph Ludwig in seiner Freibur-
ger Habilitationsschrift (1991): Verben bezeichneten prototypisch Prozesse, und ein op-
timaler Prozeß sei einer, der abgeschlossen sei. Bei entsprechenden Verbal-Konzepten
müsse so, wie in vielen Kreolsprachen, Perfektivität gar nicht morphologisch signalisiert
werden.
Wolfgang Raible
veröffentlicht. Dieser Aufsatz ist hier u. a. deshalb wichtig, weil Talmy
Givön ihn 1990 als Basis für Überlegungen verwendet hat, deren kriti-
sche Rezeption geeignet ist, das Konzept der Finitheit aus Abschnitt 1
noch weiter zu differenzieren.
Der Beitrag von Hopper/Thompson organisiert sich gewissermaßen
um eine zentrale Lücke, nämlich um das gestaltpsychologische Konzept
der Prägnanz (oder den ebenfalls nicht genannten Begriff des Proto-
typs). Für die beiden Autoren ist die „prägnanteste“ (prototypische) Art
der Sachverhaltsdarstellung der zweiwertige (transitive) Aussagesatz
mit einer abgeschlossenen, ebenfalls „prototypischen“ Handlung zwi-
schen einem bewußt handelnden Agens und einem vom Vorgang betrof-
fenen Patiens-Individuum28. Es geht also um jene Sätze des Typs „Der
Bauer schlägt den Esel“ oder „the farmer killed the duckling“, die, nicht
ohne Grund, schon immer den Grammatikern als beliebte Beispiele ge-
dient haben29. Transitivität erweist sich dabei naturgemäß als ein skala-
rer Begriff. Stellt man nun, wie Talmy Givön es auf der Basis des Bei-
trags von Hopper/Thompson tut, eine Beziehung zwischen semantischer
Prägnanz und grammatischer Finitheit her, so würde gelten, daß Abge-
schlossenes „finiter“ ist als Nicht-Abgeschlossenes, Punktuelles „fini-
ter“ als Duratives, Wirkliches „finiter“ als Irreales etc.30. Systematisiert
man Givöns Darstellung, so läßt sich die folgende Matrix entwerfen, in
der in beiden Dimensionen eine relative „Finitheit“ das Ordnungskrite-
rium ist:
28 Im Sinne von Harald Weinrich würde es sich um die ,Subjekt-Partner-Valenz‘ handeln.
Vgl. oben Kapitel III.4.
29 Die Verbindung zur Gestalttheorie wird freilich hergestellt durch die textlinguistische
Einbettung der ganzen Überlegungen: Sachverhaltsdarstellungen mit einem hohen
Grad an Transitivität markieren den Vordergrund von Diskursen, intransitive Sachver-
haltsdarstellungen oder Sachverhaltsdarstellungen mit einem geringen Maß an Transiti-
vität bilden den Hintergrund, von dem der Vordergrund sich abhebt. „Gestaltpsycholo-
gisch“ ist also die zugrunde gelegte und grundlegende Dialektik von Gestalt und Hinter-
grund (Hopper/Thompson 1980:281 ff.). - Der zentrale Begriff bei Hopper/Thompson
ist derjenige der effectiveness. - Vgl. zum Begriff der Prägnanz im vorliegenden Zusam-
menhang auch René Thom (1985).
30 Vgl. Givön 1990:854f. und Hopper/Thompson (1980). - Vom gestaltpsychologischen
Begriff der Prägnanz her argumentiert im Grunde auch Ralph Ludwig in seiner Freibur-
ger Habilitationsschrift (1991): Verben bezeichneten prototypisch Prozesse, und ein op-
timaler Prozeß sei einer, der abgeschlossen sei. Bei entsprechenden Verbal-Konzepten
müsse so, wie in vielen Kreolsprachen, Perfektivität gar nicht morphologisch signalisiert
werden.