EINLEITUNG
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noch am Herzen, als das erhoffte große Ziel nicht erreicht wurde. Eindeutig spricht der
Landgraf in seinem Testament aus, daß die Einheit der Lehre in Hessen auf der CA und
auf der Wittenberger Konkordie beruhen solle162. Diese ist daher in einigen Teilen des
Landes Hessen bis zur Gegenwart noch gültiges Bekenntnis. Auch Philipps Enkel,
Landgraf Moritz der Gelehrte, brachte diese Auffassung noch zum Ausdruck. In
seinen Verbesserungspunkten betonte er, was die in Wittenberg 1536 erreichte Eini-
gung bedeutete163.
Andererseits sah auch Jacob Andreae in der Wittenberger Konkordie eine Vorstufe
seiner Bemühungen. In der »Solida declaratio VII«164 nahm er einen Passus aus Bucers
Einigungsschreiben auf. In der Literatur über die Wittenberger Konkordie wird dieser
Tatsache selten die gebührende Beachtung gezollt. Es bleibt bei dem Ausdruck gele-
gentlichen Bedauerns, daß ein großes angestrebtes Ziel unerreichbar blieb.
Die Wittenberger Konkordie hatte ein Zeichen gesetzt: die Einigung des Protestan-
tismus erschien nicht nur notwendig, sondern auch möglich. Freilich war die Voraus-
setzung dafür, daß die Auffassung von der Realpräsenz nicht eng gefaßt wurde. Luther
und Bucer wußten davon, daß ein religiöses Geschehen nicht nur nach theologischen
Kriterien gefaßt werden durfte. Bei Bucer klang gelegentlich das Wort vom mysti-
schen Erlebnis nach165. Das »gläubige Gemüt« sollte im Sakrament die Gemeinschaft
mit Christus erfahren.
Erklärlicherweise bestand der Wunsch nach einer kirchlichen Einigung am stärk-
sten in den Gebieten, in denen die Verschiedenheit der Auffassungen sich am nachtei-
ligsten auswirkte. Umso eifriger schauten die Prediger in solchen Gegenden nach
Möglichkeiten aus, eine Verständigung zu erreichen. Die Nachricht vom Abschluß der
Wittenberger Konkordie bewegte die Gemüter auch in den angrenzenden ausländi-
schen Gebieten. Die Evangelischen in Italien, die seit langem mit Bucer in Verbindung
standen166, verlangten nach näherer Unterweisung. Bucer entwickelte ihnen in drei
Briefen (vom 17. August167, 10. September168 und 23. Dezember 1541169) die Abend-
mahlslehre im Verständnis der Wittenberger Konkordie. Der Sprecher der Protestan-
ten in Venedig, Baldasare Altieri, Sekretär des englischen Residenten, erhielt durch
162. Vgl. W. Maurer: Theologie und Laienchristentum bei Landgraf Philipp von Hessen. In:
Humanitas-Christianitas. Witten 1968. S. 102. Anm. 65.
163. Für die Mauritianische Kirchenreform vgl. H. Heppe: Kirchengeschichte beider Hessen.
Bd. 2. Marburg 1876. S. 1—39.
164. BS, S. 977h; vgl. auch schon BS, S. XXXVI.
165. In B.s Auslegung des Abendmahls begegnet einmal der Ausdruck »exhibitio mystica«;
Retractationes, S. 490 des lat. Textes; unten S. 364, Z. 8. Relativ häufig ist hier vom »mysterium«
die Rede; ebd. S. 483. 484. 486. 487; unten S. 306, Z. 8, S. 314, Z. 9, S. 334, Z. 5, S. 338, Z. 1.
Vgl. auch unten S. 315, Z. 25 und Anm. 59; S. 339, Z. 1 und S. 365, Anm. 295 in der deutschen
Übersetzung.
166. Schon 1526 hatte B. das Vorwort zum 4. Buch der Postillen Luthers den Evangelischen
in Italien gewidmet; Bibl. Nr. 10. Seit Dezember 1531 stand er im brieflichen Verkehr mit dem
Venezianer Bartolomeo Fonzio. Vgl. K. Benrath: Geschichte der Reformation in Venedig.
SVRG 18. Halle 1887. S. 13 und Pollet 2, S. 468ff. (Bucer et Fonzio). Dort S. 468, Anm. 4
weitere Literatur.
167. Tomus Angl., S. 685 f.
168. A.a.O., S. 687 — 689. 1
69. A.a.O., S. 689 — 691.
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noch am Herzen, als das erhoffte große Ziel nicht erreicht wurde. Eindeutig spricht der
Landgraf in seinem Testament aus, daß die Einheit der Lehre in Hessen auf der CA und
auf der Wittenberger Konkordie beruhen solle162. Diese ist daher in einigen Teilen des
Landes Hessen bis zur Gegenwart noch gültiges Bekenntnis. Auch Philipps Enkel,
Landgraf Moritz der Gelehrte, brachte diese Auffassung noch zum Ausdruck. In
seinen Verbesserungspunkten betonte er, was die in Wittenberg 1536 erreichte Eini-
gung bedeutete163.
Andererseits sah auch Jacob Andreae in der Wittenberger Konkordie eine Vorstufe
seiner Bemühungen. In der »Solida declaratio VII«164 nahm er einen Passus aus Bucers
Einigungsschreiben auf. In der Literatur über die Wittenberger Konkordie wird dieser
Tatsache selten die gebührende Beachtung gezollt. Es bleibt bei dem Ausdruck gele-
gentlichen Bedauerns, daß ein großes angestrebtes Ziel unerreichbar blieb.
Die Wittenberger Konkordie hatte ein Zeichen gesetzt: die Einigung des Protestan-
tismus erschien nicht nur notwendig, sondern auch möglich. Freilich war die Voraus-
setzung dafür, daß die Auffassung von der Realpräsenz nicht eng gefaßt wurde. Luther
und Bucer wußten davon, daß ein religiöses Geschehen nicht nur nach theologischen
Kriterien gefaßt werden durfte. Bei Bucer klang gelegentlich das Wort vom mysti-
schen Erlebnis nach165. Das »gläubige Gemüt« sollte im Sakrament die Gemeinschaft
mit Christus erfahren.
Erklärlicherweise bestand der Wunsch nach einer kirchlichen Einigung am stärk-
sten in den Gebieten, in denen die Verschiedenheit der Auffassungen sich am nachtei-
ligsten auswirkte. Umso eifriger schauten die Prediger in solchen Gegenden nach
Möglichkeiten aus, eine Verständigung zu erreichen. Die Nachricht vom Abschluß der
Wittenberger Konkordie bewegte die Gemüter auch in den angrenzenden ausländi-
schen Gebieten. Die Evangelischen in Italien, die seit langem mit Bucer in Verbindung
standen166, verlangten nach näherer Unterweisung. Bucer entwickelte ihnen in drei
Briefen (vom 17. August167, 10. September168 und 23. Dezember 1541169) die Abend-
mahlslehre im Verständnis der Wittenberger Konkordie. Der Sprecher der Protestan-
ten in Venedig, Baldasare Altieri, Sekretär des englischen Residenten, erhielt durch
162. Vgl. W. Maurer: Theologie und Laienchristentum bei Landgraf Philipp von Hessen. In:
Humanitas-Christianitas. Witten 1968. S. 102. Anm. 65.
163. Für die Mauritianische Kirchenreform vgl. H. Heppe: Kirchengeschichte beider Hessen.
Bd. 2. Marburg 1876. S. 1—39.
164. BS, S. 977h; vgl. auch schon BS, S. XXXVI.
165. In B.s Auslegung des Abendmahls begegnet einmal der Ausdruck »exhibitio mystica«;
Retractationes, S. 490 des lat. Textes; unten S. 364, Z. 8. Relativ häufig ist hier vom »mysterium«
die Rede; ebd. S. 483. 484. 486. 487; unten S. 306, Z. 8, S. 314, Z. 9, S. 334, Z. 5, S. 338, Z. 1.
Vgl. auch unten S. 315, Z. 25 und Anm. 59; S. 339, Z. 1 und S. 365, Anm. 295 in der deutschen
Übersetzung.
166. Schon 1526 hatte B. das Vorwort zum 4. Buch der Postillen Luthers den Evangelischen
in Italien gewidmet; Bibl. Nr. 10. Seit Dezember 1531 stand er im brieflichen Verkehr mit dem
Venezianer Bartolomeo Fonzio. Vgl. K. Benrath: Geschichte der Reformation in Venedig.
SVRG 18. Halle 1887. S. 13 und Pollet 2, S. 468ff. (Bucer et Fonzio). Dort S. 468, Anm. 4
weitere Literatur.
167. Tomus Angl., S. 685 f.
168. A.a.O., S. 687 — 689. 1
69. A.a.O., S. 689 — 691.