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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (16. Band = Baden-Württemberg, 2): Herzogtum Württemberg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2004

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https://doi.org/10.11588/diglit.30655#0042
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Württemberg

mation. Hierzu gehörte auch die Regelung des Armenwesens. Die Bedürftigen waren bisher durch Almosen
unterhalten worden. Während seines Exils bei Landgraf Philipp von Hessen hatte Herzog Ulrich dessen
Regelungen des Armen- und Spitalwesens kennengelernt. Auch im Herzogtum Württemberg war die Armut
durch Missernten und Teuerung verschärft worden, und es bedurfte hier - um sozialen Unruhen zuvorzu-
kommen - ebenfalls einer Regelung65.
Für die praktische Neustrukturierung des Vermögens aus aufgehobenen Benefizien sowie die Verwal-
tung und Verteilung des Ortskirchenvermögens wurden durch die Kastenordnungen grundlegende Regelun-
gen geschaffen. Obwohl Kastenordnungen auf die bereits bekannten Armenordnungen zurückgingen66, stell-
ten sie im 16. Jahrhundert etwas Neues dar. Die ersten Kirchenkästen wurde in Sachsen eingerichtet. Die
Wittenberger Kastenordnung von 1522 und die Leisniger von 1523 gehört zu den frühesten Dokumenten
dieser Art67. Für das Herzogtum Württemberg zählt die Kastenordnung von 1536 ebenfalls zu den ersten
Ordnungen zur Einführung der Reformation68.
Über Ausarbeitung und Endredaktion der württembergischen Kastenordnung ist wenig bekannt. Es gilt
als wahrscheinlich, dass diese Aufgaben einer Kommission oblagen69, in der Erhard Schnepf und Ambrosius
Blarer sowie der hessische Beamte Heinz von Lüder70, der wesentlichen Anteil an der Entstehung der
hessischen Armenordnungen von 1533 gehabt hatte, zusammenarbeiteten. Möglicherweise wurde die
Kastenordnung bereits im Juni 1535 bei einem Treffen dieser Kommission mit dem Herzog diskutiert.
Sicher bezeugt ist die Arbeit an der Ordnung jedoch erst für die zweite Jahreshälfte, da man sie für die
geplante Visitation zur Hand haben wollte71. Die Kastenordnung schöpft mehr als die Hälfte ihrer Artikel
aus anderen Quellen. Neben den hessischen Kastenordnungen von 1530 und 1533, griff sie auf die württem-
bergische Bettelordnung von 1531 zurück72. Daneben finden sich kleinere Übernahmen aus der Stuttgarter
Bettelordnung von 1501, der württembergischen Almosenordnung von 1520/21 sowie einzelnen weiteren
Ordnungen73. Am 15. März schrieb Ambrosius Blarer an Heinrich Bullinger, dass die Ordnung kurz vor
ihrer Fertigstellung stehe74, und am 1. Juni 1536 wurde sie mit marginalen Veränderungen auch als Teil der
vierten württembergischen Landesordnung veröffentlicht75.
Die Kastenordnung gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste zeigt die Zusammensetzung des Kasten-
vermögens auf, der zweite legt den Kreis der Empfänger fest und der dritte regelt die Verwaltung des
Kastens durch die Kastenpfleger. Eine Besonderheit der württembergischen Kastenordnung bestand darin,
dass jeder Ort einen eigenen Armenkasten erhalten sollte, aus dem nur die Armen am Ort unterstützt

65 Brecht/Ehmer, Reformationsgeschichte, S. 280-284.
66 Vgl. die württembergische Bettelordnung vom 27. März
1531, Druck: Reyscher, Gesetze XII/1, Nr. 14
S.69-75.
67 Zur Wittenberger Kastenordnung siehe Sehling,
EKO I, S. 697f.; zur Leisniger Kastenordnung siehe
ebd., EKO I, S. 598-604.
68 Vgl. Deetjen, Studien, S. 116-141; Fritz, Liebestätig-
keit (1912), S. 160-166; Heyd, Ulrich III, S. 167-169;
Rauscher, Visitationsakten, S. XXVIII-XXXII;
ders., Reformationsgeschichte, S. 121, 138f., 144; Refor-
mation in Württemberg, S. 117; Hartmann, Brenz,
S. 158f.; Wolgast, Reformationszeit, S. 231f.; Hau-
ber, Ehrenrettung, S. 653-656.
69 Zur Verfasserfrage siehe Deetjen, Studien, S. 304
Anm. 57.
70 Zu Heinz Lüder siehe Deetjen, Studien, S. 300ff.
Anm. 53; Rauscher, Visitationsakten, S. XXIXff.;
Hartmann, Schnepff, S. 44f.
71 Rauscher, Visitationsakten, Nr. 19 S. 61; vgl. Deet-

jen, Studien, S. 117, 305 Anm. 59. Zur Visitationsord-
nung siehe unten, S. 35.
72 Zu den hessischen Kastenordnungen siehe Sehling,
EKO VII/1, S. 68ff. und S. 80f. Zur württembergischen
Bettelordnung siehe Reyscher, Gesetze XII/1,
S. 69-75. Vgl. auch die synoptische Zusammenstellung
der drei Hauptquellen bei Deetjen, Studien,
S.118-128.
73 Zur Stuttgarter Bettelordnung siehe Rauscher, Visi-
tationsakten, S. XXXI; Heyd, Ulrich II, S. 285ff.;
Fritz, Liebestätigkeit (1912), S. 160f. Zur württember-
gischen Almosenordnung siehe HStA Stuttgart A 38
Bü 16; vgl. Reformation in Württemberg, S. 290f. Die
Forschungsdiskussion über die benutzten Vorlagen zeich-
net Deetjen, Studien, S. 118-128 sowie S. 306
Anm. 68, 72-75 nach.
74 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 690 S. 790; vgl. Rau-
scher, Reformationsgeschichte, S. 138.
75 Reyscher, Gesetze XII/1, Nr. 21 S. 84-122, hier
S. 101.

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