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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (16. Band = Baden-Württemberg, 2): Herzogtum Württemberg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2004

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https://doi.org/10.11588/diglit.30655#0671
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Einleitung

Die Herren von Helmstatt hatten sich, wie viele der reichsfreien Ritter gerade im Kraichgau, schon früh der
Reformation zugewandt. Bedeutungsvoll für die frühen Jahre der Reformation, auch überregional, waren
Familien wie die Gemmingen, Göler von Ravensburg, Landschad von Steinach, die allesamt in den 1520er
Jahren sukzessive evangelische Pfarrer und Prediger anstellten, so dass zum Zeitpunkt des Passauer Ver-
trages 1552 festgestellt wurde, dass der gesamte Kanton Kraichgau evangelisch sei.1 Dietrich von Gem-
mingens Burg Guttenberg galt geradezu als zweite „Herberge der Gerechtigkeit“, unter den hier zeitweise
aufgenommenen, andernorts vertriebenen evangelischen Predigern sind etwa Erhard Schnepf,2 Kaspar Grä-
ter3 oder Franz Irenicus4 zu nennen; Matthäus Chytraeus5 fand bei Peter von Mentzingen Zuflucht. Die
hier zu umreißende Theologengruppe6 schwäbisch-kraichgauer Pfarrer gehört auch in den Abendmahlsstreit
zwischen Brenz und Oekolampad, ein Teil unterzeichnete 1525 Brenz’ Schwäbisches Syngramma, das sich
der lutherischen Abendmahlslehre verpflichtete. Zur Lösung des Streites veranstalteten die drei Brüder von
Gemmingen im Dezember 1525 sogar ein Abendmahlsgespräch auf Burg Guttenberg, auf dem sich Oeko-
lampad von Simon Grynaeus7 vertreten ließ, das aber ohne Ergebnis endete.
Neben der frühen Hinwendung zur neuen Lehre ist ein weiteres gemeinsames Charakteristikum dieser
ritterschaftlichen Reformation, dass sie in der Regel ohne Erlass einer Kirchenordnung durchgeführt wurde.
Zum einen waren Kirchenordnungen in den 1520er Jahren auch in den größeren, landesherrlichen oder
reichsstädtischen Territorien durchaus noch nicht üblich; zum anderen war ein solcher Akt in den oft
kleinen oder gar kleinsten Herrschafts- und Patronatsverhältnissen weder nötig noch möglich - oft konnten
die Ritter noch nicht einmal uneingeschränkt über die Pfarrstellen ihrer Dörfer verfügen, sondern, wie etwa
im Falle derer von Helmstatt, nur über eine Prädikatur; ein manchmal jahrelanges Nebeneinander von
katholischem Pfarrer und evangelischem Prediger war keine Ausnahme.8

1 Vgl. Röcker, So ist das creutz das recht panier, S. 59.
2 Erhard Schnepf, geb. 1495 Heilbronn, stud. Erfurt, Hei-
delberg, dort anwesend bei Luthers Disputation, Dr.
theol., 1520 Prediger in Weinsberg, 1522 Flucht und
Unterschlupf in Guttenberg, 1523 Wimpfen, 1525 Heirat
mit Margarethe Wurzelmann, 1526 Pfarrer in Weilburg,
1527 Professor Marburg, 1528 Schlossprediger, 1534 in
württembergischen Diensten, 1535 Superintendent
Stuttgart, 1544 Professor Tübingen, 1548 vertrieben,
wiederum von Gemmingen aufgenommen, 1549 Profes-
sor und Superintendent Jena, gest. 1558.
3 Kaspar Gräter, geb. ca. 1500 Gundelsheim/Neckar, stud.
Heidelberg, Mag., 1523 Pfarrer im Gemmingenschen
Neckarmühlbach, 1526 Schwäbisch Hall, 1527 Kaplan
Herzog Ulrichs in Mömpelgard, 1527 Rektor der Latein-
schule in Heilbronn, 1528 Heirat mit Anna Zehe, 1534
Pfarrer in Herrenberg, 1538 Superintendent Cannstatt,
1540 Hofprediger Stuttgart, muss 1542 wegen einer Pre-
digt fliehen, wiederum Unterschlupf in Neckarmühl-
bach, 1544 Aussöhnung mit Herzog Ulrich, 1548 2. Ehe
mit Barbara Zehe (?), gest. 1553.
4 Zu Franz Fritz (oder Friedlieb) gen. Irenicus vgl. Seite
480 Fußnote 14.
5 Matthäus Kochhafe, gen. Chytraeus, geb. 1495, stud.

Tübingen, danach Aufenthalt bei Brenz in Schwäbisch
Hall, 1530 Pfarrer der Herren von Menzingen, gest.
1559; Vater von David (geb. 1530) und Nathan (geb.
1543) Chytraeus; vgl. Glaser, David und Nathan
Chytraeus.
6 Röcker beschreibt sie als relativ homogene Gruppe von
etwa 30 bis 40 Theologen, die fast alle aus dem südwest-
deutschen Raum stammten, teilweise die berühmte
Lateinschule in Pforzheim durchlaufen und bzw. oder
zwischen 1510 und 1520 in Heidelberg studiert hatten
(etliche waren bei Luthers Heidelberger Disputation
anwesend), und die auch später in intensivem Kontakt
untereinander standen, vgl. Röcker, So ist das creutz
das recht panier, S. 62f.
7 Simon Grynaeus (Griner), geb. ca. 1493 Sigmaringen,
Lateinschule Pforzheim, stud. Wien, Wittenberg, 1524
Professor für Griechisch (1526 auch für Latein) in Hei-
delberg, 1529 auf Empfehlung Oekoloampads Nachfol-
ger Erasmus’ in Basel, später zusätzlich Professor für
das Neue Testament, 1534 Mitarbeit an der Reform der
Universität Tübingen, gest. 1541. Mitverfasser des 2.
Basler Bekenntnisses (Erste Helvetische Konfession,
1536).
8 So etwa im Ort Gemmingen, vgl. Röcker, So ist das

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