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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (16. Band = Baden-Württemberg, 2): Herzogtum Württemberg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2004

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https://doi.org/10.11588/diglit.30655#0085
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Einleitung

stand. Am 8. März kamen sämtliche Pfarrer mit je zwei Gerichtspersonen aus jeder Gemeinde auf dem
Reichenweirer Rathaus zusammen, wo ihnen die neue Kirchenordnung verlesen wurde. Matthias Erb
beanstandete die lutherische Prägung, wie etwa die Wiedereinführung bestimmter Marienfeste, die Not-
taufe durch die Hebammen, die lateinische Sprache im Gottesdienst sowie den Chorrock für die Geist-
lichen424. Er forderte die Aushändigung eines Exemplars der Ordnung sowie eine Bedenkzeit bis zum nächs-
ten Vormittag. Am folgenden Tag verlas Matthias Erb vor der Versammlung eine Erklärung, warum er die
Kirchenordnung nicht annehmen könne. Die anwesenden Pfarrer schlossen sich Erbs Auffassung an. Mat-
thias Erb und Nikolaus König (Regius)425 beriefen sich am 17. März 1560 gegenüber der Vormundschafts-
regierung darauf, dass von Graf Georg bereits im März 1538 eine zwinglianisch ausgerichtete Kirchenord-
nung erlassen worden sei426, an deren Ausarbeitung auch Wolfgang Capito, Caspar Hedio, Matthäus
Zell427, Oswald Myconius428 und Simon Grynäus beteiligt gewesen waren, und auf die sie sich dauerhaft
verpflichtet hätten. Zudem brachten sie ein Gutachten der Universität Basel bei, das die Einführung der
neuen Ordnung ablehnte429. Auf diese Eingabe hin wurde Matthias Erb entlassen und Nikolaus Canceri-
nus430 an seine Stelle beordert, der die Einführung der neuen lutherischen Kirchenordnung in Mömpelgard
durchsetzen sollte und zu diesem Zweck 1562 in seiner Funktion als Superintendent eine Visitation anord-
nete. Der Widerstand der Pfarrer in Horburg-Reichenweier gegen die neue Kirchenordnung schien Ende des
Jahres 1564 gebrochen, denn am 27. November 1564 erklärten die gesamte Geistlichkeit sowie sämtliche
Schuldiener Horburgs und Reichenweiers durch Unterschrift ihr Einverständnis mit der Confessio Augu-
stana und der Confessio Virtembergica431.
In Mömpelgard erfolgte die Einführung der Kirchenordnung durch eine theologische Kommission,
bestehend aus dem Bebenhäuser Abt Eberhard Bidembach432 sowie Konrad Flinsbach433. Auch hier traf die
Kirchenordnung auf Widerstand der Geistlichen, die bei der reformierten Liturgie Pierre Toussains bleiben
wollten434. 1568 griff die Vormundschaftsregierung auf die für die frankophone Mehrzahl der Bewohner
angefertigte Übersetzung der Kirchenordnung ins Französische zurück, die Léger Grimault, der Pfarrer in
Villarslès-Blamont und Schullehrer in Mömpelgard angefertigt hatte435. Die französische Fassung wurde am
12. Oktober 1568 in Basel gedruckt. 1571 wurde eine Neuauflage der deutschsprachigen Fassung der Kir-
chenordnung von 1560 veröffentlicht436. Diese Ordnung ist einschließlich des Vorworts nahezu identisch mit
der Ausgabe von 1560. Die Kirchenordnung wurde letztlich von den Geistlichen in Horburg und Reichen-
weier sowie in Mömpelgard notgedrungen akzeptiert, ebenso wie am 12. Januar 1573 die Unterschriften des
Mömpelgarder Klerus unter die Wittenberger Konkordie erzwungen wurden437.
Der auf Ausgleich zwischen Calvinisten und Lutheranern bedachte Mömpelgarder Reformator Pierre Tous-
sain starb am 5. Oktober 1573. Mit ihm endete die eigenständige Periode der Mömpelgarder Kirche, die in
den folgenden Jahren eine enge Verbindung mit der württembergischen Kirche einging, wobei die konfes-

bach vom 17. Juli 1560, Pressel, Anecdota Brentiana,
S. XXXV Nr. 435.
124 Rocholl, Matthias Erb, S. 18f.; Adam, Kirchenge-
schichte, S. 309f.
425 Zu Nikolaus König siehe S. 34 Anm. 156.
426 Siehe Nr. 22.
427 Zu Matthäus Zell siehe RGG3 6, Sp. 1891.
428 Zu Oswald Myconius siehe NDB 18, S. 662f.
429 Das Original der Verteidigungsschrift befindet sich in
der Colmarer Stadtbibliothek, Billingsche Handschrift,
Sammlung BCD M 111 C.H. 22 ad 1560. Vgl. Rocholl,
Matthias Erb, S. 9 Anm. 1; Röhrich, Mitteilungen III,
S. 290f.

430 Zu Nikolaus Cancerinus siehe S. 35 Anm. 168.
431 Adam, Kirchengeschichte, S. 319f.
432 Zu Eberhard Bidembach siehe S. 61 Anm. 370.
433 Zu Konrad Flinsbach siehe S. 66 Anm. 417.
434 Siehe S. 36f.
435 Siehe Nr. 29. Vgl. Brecht/Ehmer, Reformationsge-
schichte, S. 267ff.; Röhrich, Mitteilungen I, S. 293;
Schnurrer, Erläuterungen, S. 173; Debard, Luthér-
anisme, S. 356.
436 Siehe Nr. 29.
437 Druck: Viénot, Montbéliard II, S. 292-308; vgl. ebd. I,
S. 343; Adam, Kirchengeschichte, S. 320; Cuno, Daniel
Tossanus, S. 21.

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