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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0202
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Mülhausen

21. Sonntagsmandat, 30. April 1561 (Text S. 264)
Mit dem Wegfall der zahlreichen Feiertage nach 1529 (s. oben S. 163) rückte der Sonntag stärker in den
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Gerade von seiten der Geistlichkeit wurde aber häufig über die man-
gelnde Beachtung des Sonntags und den geringen Besuch der Gottesdienste durch die Gläubigen geklagt.
Während in anderen Städten schon für die dreißiger Jahre des 16. Jh. erste Sonntagsmandate überliefert
sind193, scheint der Mülhauser Rat erst 1561 ein solches Mandat erlassen zu haben.
Weil der Sonntag zum Hören des Wortes Gottes gedacht ist, ordnet der Rat den Besuch der Gottesdien-
ste an. Für alle, die nicht durch Krankheit oder andere begründete Ursachen entschuldigt sind, besteht
Gottesdienstpflicht. Die Eltern werden aufgefordert, ihre Kinder zum Gottesdienst und zum kirchlichen
Unterricht zu schicken194. Kommen sie ihrer Aufgabe nicht nach und werden die Kinder während der
Gottesdienstzeiten auf der Gasse angetroffen, droht ihnen Strafe. Zur Durchsetzung der Gottesdienstpflicht
werden aus jeder Zunft zwei Mitglieder abgeordnet, die in der Stadt Kontrollgänge unternehmen und die
Säumigen den Ratsherren melden. Auch die Torwächter üben eine solche Kontrollfunktion aus.

22. Agende, 1564 (Text S. 268)
Im Jahr 1539 übernahm Mülhausen die Gottesdienstordnung der Stadt Basel195. Es benutzte auch die in
Basel gebräuchlichen Agenden; für das 16. Jh. ist jedenfalls keine eigene Mülhauser Agende überliefert.
Eine erste, von Johannes Oekolampad verfaßte Agende erschien im Jahr 1526. Sie trug den Titel „Form und
gestalt, wie der kinder tauff, des herren nachtmal und der krancken heymsuchung jetz zu Basel [...] gehal-
ten werden“196. Die Agende umfaßte, dem Titel entsprechend, nur Formulare für die Taufe, das Abendmahl
und die Versehung der Kranken. Eine Ordnung, in welcher der Ablauf eines sonn- oder werktäglichen
Gottesdienstes mit Predigt, Gebeten und Liedern aufgezeichnet ist, enthielt sie nicht. Auch ein Formular
für die Einsegnung der Ehe fehlte. Eine zweite, auf Oekolampads Vorlage basierende Agende erschien unter
seinem Nachfolger Oswald Myconius im Jahr 1537. Sie trug den Titel „Form der sacramenten bruch, wie sy
zu Basel gebrucht werden. Mit sampt einem kinder bericht“. Diese Agende wies jetzt auch ein Formular für
die Einsegnung der Ehe auf. Ein Schema für den Gottesdienst fehlte aber weiterhin. Den Abschluß bildete
der von Oekolampad verfaßte Katechismus. Die folgenden Ausgaben wiesen dann nur wenige Änderungen
gegenüber dem Druck von 1537 auf197.
Die einzige in Mülhausen gedruckte Agende ist das „Agend Büchlin der kirchen zu Basel. Hierin find
man erstlich, wie man die Eelüt vor der gemein ynsägnen soll, Demnach die form und ordnung der H.
hochwirdigen Sacramenten, deß Touffs und deß Herren Nachtmals, mit zu gethoner heimsuchung der
krancken und angehencktem kinderbericht“. Der Druck erfolgte in der Offizin von Peter Schmidt. 1557
hatte Schmidt die Druckerei zusammen mit Johannes Schirrenbrand eröffnet. Vom Rat der Stadt und vom
Pfarrer Martin Wetzler erhielt er dafür ein ansehnliches Darlehen. Anscheinend gab es sowohl von seiten
der Stadt als auch von seiten der Kirche ein besonderes Interesse an einer eigenen Druckerei, um nicht mehr
von den Basler Offizinen abhängig zu sein. Nach zwei Jahren schied Johannes Schirrenbrand aus dem
Geschäft aus. Schmidt führte die Druckerei noch fünf Jahre weiter bis 1564. Dann zog er nach Frankfurt
a. M. und hinterließ einen riesigen Schuldenberg198. Einer seiner letzten und zugleich wohl auch wichtigsten

193 Vgl. Sehling, EKO XVII,2, Nr. 22, S. 389; EKO
XX,1, Nr. 15, S. 227 und Nr. 18, S. 246f.; Campi /
Wälchli, Zürcher Kirchenordnungen 1, Nr. 55, S. 122.
194 Zum Kinderbericht s. unten Nr. 23.
195 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 563.
196 Vgl. TRE 2, S. 31 und Ehrensperger, Gottesdienst,
S. 141-146 und 184. Von dieser Agende lassen sich zwei
Drucke nachweisen.

197 Vgl. Ehrensperger, Gottesdienst, S. 185f. Die 1545
bei Erasmus Zimmermann in Basel veröffentlichte Aus-
gabe trug den gleichen Titel wie die von 1537. Dagegen
lautet der Titel der 1550 bei Jakob Kündig erschienenen
Ausgabe „Agendbiechlin der kirchen zu Basel“.
198 Vgl. Reske, Buchdrucker, S. 621f.

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