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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0370
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Münster im Münstertal

kirchlicher und von obrigkeitlicher Seite bis ins 19. Jh. hinein mit Mandaten und Verboten vorgegangen.
Eine wichtige Rolle spielte dabei der Aspekt der Heimlichkeit und Unkontrolliertheit der Stuben94. Beim
Schwammen hingegen stieg der Liebhaber auf einer Leiter vor das Fenster des Mädchens und unterhielt
sich mit ihr durch eine zerbrochene Glasscheibe. Für das Schwammen gab es festgelegte Tage, die sogenann-
ten „Speck- und Fleischtage“ (Dienstag, Donnerstag, Samstag bzw. Sonntag)95. In der Kirchenordnung
wird das Schwammen als Hauptursache für zahlreiche Formen sittlicher Verirrungen und für die häufigen
heimlichen Eheabsprachen betrachtet. Neben der Verhängung von Geldbußen sah die Kirchenordnung auch
die Arretierung im Turm als Strafe vor96. Wegen deß einreißenden sterbendts und sonderlich theurung und
kriegsgeschrey war in der Kirchenordnung auch das Tanzen bei Hochzeiten und anderen Anlässen ohne
obrigkeitliche Genehmigung untersagt worden97.
Fünf Jahre nach dem Erlaß der Kirchenordnung sah es der Magistrat anscheinend als notwendig an, die
Verbote in einem gesonderten Mandat noch einmal genauer zu erläutern und einzuschärfen. Verärgert
waren die Ratsherren vor allem darüber, daß nicht nur die Jugend gegen die Verbote verstieß, sondern ihr
Tun von den Eltern auch noch verteidigt wurde. Da die in der Kirchenordnung angedrohten Geldbußen
wenig Wirkung gezeigt hatten (weil mann deßen nicht hochachtet), verschärfte der Rat die Strafen für das
Schwammen. Auch bei den sonntäglichen Tanzveranstaltungen, die nach Auffassung der Ratsherren gegen
die Heiligkeit des Feiertages verstießen, sollten nicht mehr allein die Initiatoren, sondern alle Beteiligten,
Tänzer und Spielleute, bestraft werden. Die Bräuche ließen sich jedoch nicht so einfach unterbinden. Das
zeigen die zahlreichen Einträge in die Münsterer Polizeiregister zu den Queltstuben und zum Schwammen.
1632 veröffentlichten die Ratsherren dann ein neues Mandat gegen das „Zusaufen, fressen, schwelgen, jölen,
quelten und schwammen“98.

7. Anweisung des Rates zu den Predigten, 3. November 1604 (Text S. 398)
Die Anweisung für die Geistlichen der beiden Pfarreien in Münster und Mühlbach, sich auf der Kanzel der
Schmähungen gegen die Altgläubigen und gegen die städtische Obrigkeit zu enthalten, ist im Ratsproto-
kollbuch FF 84 überliefert, das die Jahre 1589 bis 1606 umfaßt99. Im Kientzheimer Vertrag vom März 1575
hatte sich der Rat verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß sich die evangelischen Pfarrer allen schmächens
im predigen oder anderswo gegen den Abt bzw. Administrator des Klosters und die Altgläubigen enthiel-
ten100. In der kurz nach dem Kientzheimer Vertrag erlassenen Kirchenordnung war den Geistlichen dann
ohne Eingrenzung auf bestimmte Personen oder Gruppen das unauffbawliche schmähen, holhippen und leste-
rung grundsätzlich untersagt worden101.
Die Zahl der Altgläubigen in Münster und den umliegenden Dörfern ging in den letzten Jahrzehnten des
16. Jh. und den ersten Jahrzehnten des 17. Jh. deutlich zurück. Nach den bei Clauss überlieferten Zahlen
machten sie 1630 nurmehr ein Fünftel der Bevölkerung des Tales aus102. Sie sammelten sich um die Abtei,
da in der Klosterkirche der katholische Gottesdienst gefeiert wurde. Unterstützung erfuhren sie durch das
Haus Habsburg103. In der Anordnung des Rates werden die Pfarrer nun ausdrücklich vor dem Schaden
gewarnt, den ihre Invektiven gegen die katholische Seite hervorrufen könnten. Begründet wird diese War-
nung mit der Situation im Reich. Ob damit aber auf die Verschärfung der konfessionell bestimmten poli-
tischen Spannungen im Reich abgehoben wird104, läßt sich weder der Weisung selbst noch den weiteren
Einträgen im Ratsprotokoll entnehmen.

94 Ebd., S. 25.
95 Vgl. die Beschreibung in Pfleger, Verbot, S. 71f.
96 Vgl. Nr. 2, S. 376.
97 Vgl. Nr. 2, S. 381.
98 Vgl. Pfleger, Verbot, S. 70.
99 Zu diesem Band s. Scherlen, Inventar, S. 72f.

100 Vgl. Nr. 1, S. 355.
101 Vgl. Nr. 2, S. 371.
102 Clauss, Historisch-topographisches Wörterbuch, S. 723.
103 Vgl. Bornert, Monastères II,1, S. 387.
104 Vgl. Gebhardt 10, S. 172-195.

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