Colmar
Auch unter den Mitgliedern der städtischen Führung war die Zahl der Evangelischen inzwischen
gewachsen. Im Magistrat hatten sie spätestens 1568 eine Mehrheit45. Hier waren es Michael Buob und
Hans Goll, welche die Einführung der Reformation vorantrieben. Unter den Ratsherren zählte der Drei-
zehner Sebastian Wilhelm Linck zu den vehementesten Befürwortern46. Neben den Ratsherren setzten sich
der Stadtschreiber Beat Henslin und der Gerichts- und spätere Stadtschreiber Andreas Sandherr für die
Reformation ein47.
Es war dann auch Andreas Sandherr, der 1568 im Namen der Evangelischen Colmars den Rat und
Magistrat um die Überlassung der ehemaligen Franziskanerkirche (jetzt Spitalkirche) und um die Anstel-
lung eines evangelischen Predigers bat. Sandherr argumentierte in seinem Gesuch damit, daß auf diese
Weise das Auslaufen nach Horburg verhindert werden könne. Die städtische Führung stellte den Evange-
lischen daraufhin zwar die Franziskanerkirche zur Verfügung; als Prediger berief sie jedoch mit Michael
Buchinger einen katholischen Priester48.
1. Gutachten des Straßburger Syndikus Johannes Nervius zur Einführung der Reformation, 7. Mai 1575
(Text. S. 491)
Von großer Bedeutung für die Entscheidung des Colmarer Rats und Magistrats zur Einführung der Refor-
mation waren die Entwicklungen im benachbarten Münster im Gregoriental und in Hagenau. Münster
hatte sich gegen die Widerstände des Oberlandvogts und seines Vertreters, des Unterlandvogts Nikolaus
Bollweiler, durchgesetzt und dabei u.a. im April 1564 beim Reichskammergericht ein Urteil erwirkt, das
dem Landvogt untersagte, die Stadt Münster wegen ihres Glaubens zu behelligen. Mit dem gerade im März
1575 durch den kaiserlichen Rat und Feldherrn Lazarus Schwendi zwischen der Stadt und dem Admini-
strator der Abtei Münster vermittelten Kientzheimer Vertrag hatte die Reformation im Münstertal eine
verbindliche Absicherung erfahren49. In Hagenau hatte der Magistrat in der Zeit des Übergangs nach dem
Tod Kaiser Ferdinands I. die Reformation eingeführt. Trotz der Konflikte mit dem Nachfolger Ferdinands
und dem aus dem Hause Österreich stammenden Oberlandvogt hielt er an seiner Entscheidung fest50. Noch
im Mai 1574 hatte eine in Hagenau weilende kaiserliche Kommission dem Rat das Recht auf die Einfüh-
rung der Reformation abgesprochen, da Hagenau als Stadt der Dekapolis nicht reichsunmittelbar sei,
sondern dem Oberlandvogt unterstehe, und der Artikel 15 des Augsburger Religionsfriedens, auf den sich
Hagenau berief, keine Anwendung finden könne51. Da die Reichsunmittelbarkeit aller Orte der Dekapolis
(auch der katholischen) gefährdet erschien, verhandelte im Auftrag des Bundes vom November 1574 bis
zum Januar 1575 eine Delegation, bestehend aus dem Hagenauer Stettmeister Rochus Botzheim, dem
Colmarer Stadtschreiber Beat Henslin und dem Colmarer Dreizehner Sebastian Wilhelm Linck, am Kai-
serhof in Wien. In seiner Antwort auf den Protest der Gesandten versprach Kaiser Maximilian II., er wolle
den Reichsstädten an ihrem hergebrachten Stand, an ihrer Freiheit und ihren Rechten nits praeiudicieren.
des Cancerinus, die in VD 16 nicht nachgewiesen ist, lau-
tet: Der alte Glaub von der Rechtfertigung des Men-
schen. Ein christliche und in Gottes wort gegründte
Predig, wie sich diser Zeit einfeltige Christen in den
streitigen glaubens Articul von vergebung der sünden
richten sollen, damit sie vor Gott gerecht und endlich
selig werden. Zu Mumpelgardt, den Sechzehenden Son-
tag nach Trinitatis. Anno 67 gehalten, Straßburg 1569.
45 Vgl. Weyrauch, Führungsgruppe, S. 221-223.
46 Biogramme von Buob, Goll und Linck finden sich ebd.,
S. 218f.
47 Vgl. ebd., S. 228f.; dazu Scherlen, Stadtschreiber
sowie Lucien Sittler, Notice sur la famille Sandherr,
in: Annuaire de la Société Historique et Littéraire de
Colmar 1 (1950), S. 57-65 und Christian Wolff,
André Sandherr, greffier-syndic de Colmar (1533-1600),
in: Annuaire de la Société Historique et Littéraire de
Colmar 13 (1963), S. 68-79.
48 Vgl. Billing, Chronik, S. 72f. (speiste die Leute mit
Legenden der Heiligen ab).
49 Vgl. S. 344f.
50 Vgl. S. 408-413.
51 Vgl. Mossmann, Réforme à Haguenau, Kap. 4; Ro-
choll, Anfänge, S. 167f.; Greyerz, City reformation,
S. 107f.
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Auch unter den Mitgliedern der städtischen Führung war die Zahl der Evangelischen inzwischen
gewachsen. Im Magistrat hatten sie spätestens 1568 eine Mehrheit45. Hier waren es Michael Buob und
Hans Goll, welche die Einführung der Reformation vorantrieben. Unter den Ratsherren zählte der Drei-
zehner Sebastian Wilhelm Linck zu den vehementesten Befürwortern46. Neben den Ratsherren setzten sich
der Stadtschreiber Beat Henslin und der Gerichts- und spätere Stadtschreiber Andreas Sandherr für die
Reformation ein47.
Es war dann auch Andreas Sandherr, der 1568 im Namen der Evangelischen Colmars den Rat und
Magistrat um die Überlassung der ehemaligen Franziskanerkirche (jetzt Spitalkirche) und um die Anstel-
lung eines evangelischen Predigers bat. Sandherr argumentierte in seinem Gesuch damit, daß auf diese
Weise das Auslaufen nach Horburg verhindert werden könne. Die städtische Führung stellte den Evange-
lischen daraufhin zwar die Franziskanerkirche zur Verfügung; als Prediger berief sie jedoch mit Michael
Buchinger einen katholischen Priester48.
1. Gutachten des Straßburger Syndikus Johannes Nervius zur Einführung der Reformation, 7. Mai 1575
(Text. S. 491)
Von großer Bedeutung für die Entscheidung des Colmarer Rats und Magistrats zur Einführung der Refor-
mation waren die Entwicklungen im benachbarten Münster im Gregoriental und in Hagenau. Münster
hatte sich gegen die Widerstände des Oberlandvogts und seines Vertreters, des Unterlandvogts Nikolaus
Bollweiler, durchgesetzt und dabei u.a. im April 1564 beim Reichskammergericht ein Urteil erwirkt, das
dem Landvogt untersagte, die Stadt Münster wegen ihres Glaubens zu behelligen. Mit dem gerade im März
1575 durch den kaiserlichen Rat und Feldherrn Lazarus Schwendi zwischen der Stadt und dem Admini-
strator der Abtei Münster vermittelten Kientzheimer Vertrag hatte die Reformation im Münstertal eine
verbindliche Absicherung erfahren49. In Hagenau hatte der Magistrat in der Zeit des Übergangs nach dem
Tod Kaiser Ferdinands I. die Reformation eingeführt. Trotz der Konflikte mit dem Nachfolger Ferdinands
und dem aus dem Hause Österreich stammenden Oberlandvogt hielt er an seiner Entscheidung fest50. Noch
im Mai 1574 hatte eine in Hagenau weilende kaiserliche Kommission dem Rat das Recht auf die Einfüh-
rung der Reformation abgesprochen, da Hagenau als Stadt der Dekapolis nicht reichsunmittelbar sei,
sondern dem Oberlandvogt unterstehe, und der Artikel 15 des Augsburger Religionsfriedens, auf den sich
Hagenau berief, keine Anwendung finden könne51. Da die Reichsunmittelbarkeit aller Orte der Dekapolis
(auch der katholischen) gefährdet erschien, verhandelte im Auftrag des Bundes vom November 1574 bis
zum Januar 1575 eine Delegation, bestehend aus dem Hagenauer Stettmeister Rochus Botzheim, dem
Colmarer Stadtschreiber Beat Henslin und dem Colmarer Dreizehner Sebastian Wilhelm Linck, am Kai-
serhof in Wien. In seiner Antwort auf den Protest der Gesandten versprach Kaiser Maximilian II., er wolle
den Reichsstädten an ihrem hergebrachten Stand, an ihrer Freiheit und ihren Rechten nits praeiudicieren.
des Cancerinus, die in VD 16 nicht nachgewiesen ist, lau-
tet: Der alte Glaub von der Rechtfertigung des Men-
schen. Ein christliche und in Gottes wort gegründte
Predig, wie sich diser Zeit einfeltige Christen in den
streitigen glaubens Articul von vergebung der sünden
richten sollen, damit sie vor Gott gerecht und endlich
selig werden. Zu Mumpelgardt, den Sechzehenden Son-
tag nach Trinitatis. Anno 67 gehalten, Straßburg 1569.
45 Vgl. Weyrauch, Führungsgruppe, S. 221-223.
46 Biogramme von Buob, Goll und Linck finden sich ebd.,
S. 218f.
47 Vgl. ebd., S. 228f.; dazu Scherlen, Stadtschreiber
sowie Lucien Sittler, Notice sur la famille Sandherr,
in: Annuaire de la Société Historique et Littéraire de
Colmar 1 (1950), S. 57-65 und Christian Wolff,
André Sandherr, greffier-syndic de Colmar (1533-1600),
in: Annuaire de la Société Historique et Littéraire de
Colmar 13 (1963), S. 68-79.
48 Vgl. Billing, Chronik, S. 72f. (speiste die Leute mit
Legenden der Heiligen ab).
49 Vgl. S. 344f.
50 Vgl. S. 408-413.
51 Vgl. Mossmann, Réforme à Haguenau, Kap. 4; Ro-
choll, Anfänge, S. 167f.; Greyerz, City reformation,
S. 107f.
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