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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Arend, Sabine [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0302
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Die Grafschaft Lippe

Die reformatorische Bewegung war in Lemgo wesentlich von der Predigttätigkeit der Franziskaner und
Augustinereremiten in der 40 km entfernt gelegenen Stadt Herford beeinflusst.26 Seit Mitte der 1520er
Jahre wurde in Lemgo evangelisch gepredigt und etwa zur gleichen Zeit ein 24-köpfiges Gremium installiert,
das zur treibenden Kraft der reformatorischen Bewegung wurde.27 Vermutlich 1527 vertrieben die Evan-
gelischen den altgläubigen Pfarrer Moritz Piderit und setzten den ehemaligen Herforder Franziskaner-
bruder Liborius Rudolphi28 an seine Stelle. Ende 1530 musste der altgläubige Rat der Lemgoer Bürger-
schaft die Anstellung von zwei weiteren evangelischen Predigern zugestehen sowie die Abschaffung von
Messe und altgläubigen Zeremonien zusagen. Da die Umsetzung dieser Beschlüsse auf sich warten ließ,
formulierten die Bürger 1531 ihre Forderungen an den Rat erneut in zwölf Artikeln.29 Im gleichen Jahr
gelang es den Lemgoern auch, den von führenden Geschlechtern gebildeten Rat durch einen Bürgeraus-
schuss zu ersetzen und zwei evangelische Bürgermeister zu wählen. Damit war das Regiment der Stadt in
die Hand der Protestanten gelangt.30 Der evangelische Magistrat organisierte die Reformationseinführung
und vereinnahmte dabei auch klösterliche und gräfliche Güter und Rechte. Der hieraus entstehende Kon-
flikt mit Graf Simon V. konnte nur mit Hilfe der lippischen Lehnsherren beigelegt werden: Landgraf
Philipp von Hessen entsandte zwei Vermittler nach Lemgo und erreichte im Juli 1531 auf dem Landtag in
Bentrup, dass die Stadt die unrechtmäßig angeeigneten Güter und Rechte restituierte. Im Gegenzug musste
Simon V. ihr die Religionsfreiheit zugestehen.31
Zu Beginn der 1530er Jahre hatte die Landstadt Lemgo also mit hessischer Hilfe die Reformation
eingeführt. Sie war damit zunächst die einzige evangelische Stadt innerhalb des lippischen Territoriums.

1. Lemgoer Kirchenordnung 5. August 1537 (Text S. 301)
Nach dem Tod von Liborius Rudolphi 1531 wurde der inzwischen zur neuen Lehre übergetretene Moritz
Piderit wieder als Pfarrer an der Lemgoer Nicolaikirche angestellt. Gemeinsam mit Gert Oemeken,32 dem
zweiten Pfarrer, begann er, das Kirchenwesen nach evangelischen Grundsätzen umzuformen. Als Richtlinie
wurde 1533 die von Johannes Bugenhagen 1528 verfasste Braunschweiger Kirchenordnung eingeführt.33
Hierbei handelt es sich um ein umfassendes Werk teils agendarischen Charakters, das sich mit Taufe,
Schule, Predigt, Superintendenten, Krankenbesuch, Ehesachen, Küstern und Organisten, Festtagen,
Gemeindegesang, Bildwerken in den Kirchen und Armenkästen befasst. In Braunschweig herrschten in den
1520er Jahren ähnliche Verhältnisse, wie einige Jahre darauf in Lemgo: Auch Braunschweig war eine wirt-
schaftlich potente und politisch unabhängige Hansestadt, in der die Reformation gegen den Willen des
herzoglichen Stadtherrn eingeführt worden war. Lemgo stellte sich mit der Übernahme der Braunschweiger
Ordnung somit in die „Tradition stadtkirchlicher Unabhängigkeit“.34
Im August 1537 kam es zwischen Bernhard VIII. zur Lippe bzw. seinen Vormündern - Adolf von
Schaumburg und Jobst II. von Hoya - und der Hansestadt Lemgo erneut zu Auseinandersetzungen. Land-
graf Philipp von Hessen entsandte mit Georg Nusspicker, Johann Boineburg, Johannes Fontius sowie

S. 499-512; Schilling, Konfessionskonflikt, S. 69f.;
Halm, Klosterleben.
26 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 59; Wolf, Einfluß,
S. 53; Stupperich, Reformation im Weserraum, S. 267f.
Zur Reformation in Herford siehe oben, S. 159ff.
27 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 76.
28 Rudolphi war nach seinem Klosteraustritt seit 1527 Pfar-
rer an St. Nicolai in Lemgo, wo er bis zu seinem Tod 1531
tätig war, Butterweck, Geschichte, S. 486.
29 LAV NRW OWL, L 29 Nr. 42, fol. 17. Vgl. Schilling,
Konfessionskonflikt, S. 77f., 89f.
30 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 79-82; Böhme,
Lippe, S. 158.

31 Wolf, Einfluß, S. 53-56.
32 Zu Gert Oemeken siehe oben, S. 112 Anm. 56.
33 Wolf, Einfluß, S. 59f.; Hamelmann, Opera genealogi-
co-historica de Westphalia et Saxonia, S. 1061f.; Schil-
ling, Konfessionskonflikt, S. 99, 113; ders., Politische
Elite, S. 255 Anm. 36; Vajen, Anerkennung, S. 35f.
Abdruck der Braunschweiger Kirchenordnung von 1528
in Sehling, EKO VI/1, S. 348-455.
34 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 114. Vgl. ders., Poli-
tische Elite, S. 258-271; Böhme, Lippe, S. 158; Krum-
wiede, Kirchenordnung, S. 13-24.

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