Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0314
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Grafschaft Lippe

Die handschriftlich überlieferte Konsistorial- und Ehegerichtsordnung lag gedruckt bislang lediglich
innerhalb der 1779 erschienenen „Landes-Verordnungen der Grafschaft Lippe“ vor. Dieser Druck ist jedoch
unvollständig und fehlerhaft.129 Für unsere Edition wurden die beiden bekannten Handschriften der Ord-
nung zugrunde gelegt, von denen die eine in der Lippischen Landesbibliothek in Detmold, die andere im
dortigen Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe aufbewahrt wird.

5. Die Einführung der Zweiten Reformation nach 1600

Die Hinwendung zur reformierten Theologie blieb zunächst Privatsache Graf Simons VI. und beschränkte
sich auf das Umfeld seines Hofes. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts forcierte er die Einführung der
Zweiten Reformation in der Grafschaft. Zu den ersten Anzeichen reformierter Lehre in Lippe gehörte die
seit 1602 in den Visitationsakten bezeugte Verwendung von Melchior Angers Katechismus von 1593.130
Angers Lehrtext ist in seinem Aufbau zwar an Luthers Kleinem Katechismus, inhaltlich aber deutlich am
Heidelberger ausgerichtet.131 Ebenfalls 1602 gründete Simon VI. in Detmold eine reformierte Schule als
Gegengewicht zum lutherischen Gymnasium in Lemgo.132 Ferner lud er seit 1604 zu theologischen Dispu-
tationen ein, bei denen die Verteidigung von Calvins Lehre im Mittelpunkt stand.133 Schließlich bekannte
sich die gräfliche Familie öffentlich zur reformierten Lehre, indem sie am 2. Juni 1605 erstmals das Abend-
mahl mit gebrochenem Brot feierte.
Die Visitationsprotokolle lassen erkennen, dass die Superintendenten seit 1605 auch auf die Einführung
des Abendmahls nach diesem Ritus drängten.134 Der Übergang zur reformierten Theologie stand in Lippe
nicht unter dem Zeichen eines akzentuierten Konfessionswechsels. Simon VI. stellte sich vielmehr in die
lutherische Tradition der lippischen Landeskirche und suchte die gewachsenen Strukturen in reformiertem
Sinne fortzuführen.135
Ebenso wie Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, der 1605 die „Verbesserungspunkte“ einführte und der
das Vorbild für den Bekenntniswechsel in der Grafschaft Lippe abgegeben haben dürfte, verstand auch Graf
Simon VI. das reformierte Bekenntnis nicht als einen Bruch mit dem Luthertum, sondern als dessen kon-
sequente Fortsetzung. Der Übergang der lippischen Landeskirche zur reformierten Theologie lässt sich
nicht an den lippischen Kirchenordnungen ablesen, denn ebenso wie Moritz von Hessen-Kassel vermied es
auch Simon VI., spezielle Ordnungen zur Einführung der Veränderungen zu erlassen und beließ die luthe-
rische Kirchenordnung von 1571 in Geltung.136

128 Die Visitations-, Konsistorial- und Ehegerichtsordnung
stellt auch zu der 1593 erlassenen Hofgerichtsordnung
(Abdruck in Landes-Verordnungen I, S. 173-296) eine
Ergänzung dar, auf deren Paragraphen sie sich mehrfach
beruft, vgl. Ebert, Abriss, S. 32-36; Miele, Hofgericht.
129 Dies hat Fink, Fehler, S. 65-68 herausgearbeitet. Über
die von ihm benannten Ungenauigkeiten hinaus finden
sich noch zahlreiche weitere Abweichungen.
130 Abdruck in Freudenberg, Katechismen, S. 3-30. Vgl.
Haase, Allerhand Erneuerung, S. 57-62; ders., Über-
gang, S. 17f.; ders., Reformieren, S. 45, Neuser, Einfüh-
rung, S. 68; ders., Art. Lippe, S. 207; vgl. aber Fink,
Exercitia Latina, S. 99; Vajen, Anerkennung, S. 31-34.
131 Neuser, Einführung, S. 58-66. Erst 1618 soll der Hei-
delberger Katechismus in Lippe eingeführt worden sein,
ders., Art. Lippe, S. 207; Haase, Allerhand Erneuerung,
S. 81 Anm. 217.

132 Fink, Hanns-Peter, Leopoldinum. Gymnasium zu
Detmold 1602-2002 (Sonderveröffentlichung des Natur-
wissenschaftlichen Vereins für das Land Lippe 64), Bie-
lefeld 2002; Haase, Allerhand Erneuerung, S. 71f.;
Schormann, Lemgoer Gymnasium, S. 7-32; ders.,
Copius contra Hamelmann, S. 5-37; Schilling, Konfes-
sionskonflikt, S. 182.
133 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 183-187; Haase,
Allerhand Erneuerung, S. 87-118 und die Dokumente
ebd., S. 242-267; Fink, Rezess, S. 165.
134 Haase, Allerhand Erneuerung, S. 74-76; Kittel, Ge-
schichte, S. 103; Schröer, Reformation 1, S. 467f.
135 Haase, Allerhand Erneuerung, S. 72f.; ders., Übergang,
S. 17f., 22; Neuser, Einführung, S. 67; Olschewski,
Reformation, S. 158—160. Zu Hessen-Kassel siehe Seh-
ling, EKO IX, S. 36-38.
136 Vgl. Neuser, Einführung, S. 69. Rügge, Kirchenord-

296
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften