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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0315
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Einleitung

Die ältere Forschung zur lippischen Reformationsgeschichte führte zwar aus, dass das reformierte
Bekenntnis Anfang des 17. Jahrhunderts mit einer Instruktion zur Kirchenvisitation vom 21. November
1601 und einer Gottesdienstordnung für die Schlosskirche in Brake von 1602 eingeführt worden sei.137
Bartolt Haase hat jedoch herausgestellt, dass die Instruktion zur Kirchenvisitation138 lediglich eine Auf-
forderung für den Superintendenten Heinrich Dreckmeier war, die Visitation in seinem Sprengel durchzu-
führen, jedoch nicht auf Fragen der kirchlichen Lehre einging und daher keinen Aufschluss über die Ein-
führung reformierter Zeremonien geben kann.139 Hinsichtlich der Schlosskirchenordnung von 1602 ist fest-
zuhalten, dass dieser Text nicht überliefert ist, sein Gehalt an Ausdrucksformen reformierter Theologie also
nicht mehr geprüft werden kann.140
8. Röhrentruper Rezess 22. August 1617 (Text S. 481)
Die Einführung des reformierten Bekenntnisses in Lippe um 1605 stieß mancherorts auf Widerstand, der
zum Teil von den Gemeinden, zum Teil von den Pfarrern ausging.141 Nirgendwo war die Gegenwehr jedoch
so heftig und so lang anhaltend wie in der Hansestadt Lemgo. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke und
politischen Unabhängigkeit verfügte die Stadt über die entsprechenden Machtmittel, sich dem gräflichen
Willen erfolgreich zu widersetzen. Im Juni 1609 hatte Graf Simon VI. mit dem sogenannten Pfingstvertrag
das reformierte Bekenntnis in Lemgo einzuführen versucht und die beiden lutherischen Pfarrer durch refor-
mierte ersetzt.142 Die Bürgerschaft erhob sich gegen den Rat, der dem Grafen Zugeständnisse gemacht
hatte.143 Am 3. September kam es zu einem Aufstand, bei dem die Lemgoer Bevölkerung das Rathaus
stürmte und den Magistrat für abgesetzt erklärte. Man zog mit Kanonen auf den Wall und drohte, die
gräfliche Residenz Brake vor den Toren der Stadt unter Beschuss zu nehmen. An der Jahreswende 1609/10
konnte schließlich durch die Vermittlung der hessischen Landgrafen und des Bischofs von Paderborn als
lippischen Lehnsherren nur knapp eine militärische Auseinandersetzung zwischen Simon VI. und der Stadt
Lemgo vermieden werden. Es folgten jedoch mehrere Prozesse am Reichskammergericht in Speyer und am
Reichshofrat in Prag, die auch über Simons VI. Tod im Jahre 1613 hinaus anhängig waren.144
Simon VII. (1587-1627) erbte den Konflikt des Grafenhauses mit der Hansestadt, der sich über den
konfessionellen Punkt hinaus auf andere Felder ausgeweitet hatte, man stritt nun sogar vorwiegend um

nungen, S. 18 bemerkt, dass sich auch in der reformierten
Lippischen Kirchenordnung von 1684 das „calvinistische
Gemeindeprinzip“ nicht findet. Vgl. Weerth, Fürsten-
haus, S. 59; Freitag, Konfessionelle Kulturen, S. 96-98.
137 So Butterweck, Geschichte, S. 145, 147; Falkmann,
Beiträge 5, S. 319f. Schilling, Konfessionskonflikt,
S. 182, Wiehmann, Zeitalter, S. 75, Reineke, Katholi-
sche Kirche, S. 107f. und Fink, Rezess, S. 165 berufen
sich auf Butterweck und Falkmann.
138 LAV NRW OWL, L 65 Nr. 37-40 und StadtA Detmold
L 8 K Secr. II num. 6.
139 So Fink, Exercitia Latina, S. 99. Trotz dieser Feststel-
lung bringt Fink die Instruktion in einer anderen Dar-
stellung in den Zusammenhang mit Simons VI. nach 1600
verschärftem Bemühen, das reformierte Bekenntnis ein-
zuführen, Fink, Rezess, S. 165. Vgl. Schilling, Konfes-
sionskonflikt, S. 179-182; Haase, Allerhand Erneuerung,
S. 72 Anm. 195; ders., Übergang, S. 16 Anm. 22; ders.,
Reformieren, S. 45.
140 Haase, Allerhand Erneuerung, S. 74; ders., Reformieren,
S. 47.
141 Rügge, Pastors Gartenzaun, S. 53-66; Schilling, Kon-

fessionskonflikt, S. 210-224; Haase, Übergang, S. 19;
ders., Reformieren, S. 48-51; ders., Allerhand Erneue-
rung, S. 76-78; Theopold, Reformation, S. 31-33;
Schröer, Reformation 1, S. 468f.; Heidemann, Kir-
che, S. 68-79.
142 Zum Pfingstvertrag siehe Materialien zur lippischen Lan-
desgeschichte, S. 74.
143 Zum Konflikt der lippischen Grafen mit der Hansestadt
Lemgo vgl. ausführlich Schilling, Konfessionskonflikt,
S. 229-291; Vajen, Anerkennung, S. 36-59. Siehe auch
Materialien zur lippischen Landesgeschichte, S. 74; Fink,
Rezess, S. 166; Haase, Reformieren, S. 52-55; ders.,
Allerhand Erneuerung, S. 78-81; ders., Übergang, S. 20;
Cölln, Beiträge, S. 10-13; Theopold, Reformation,
S. 33-39.
144 Fink, Rezess, S. 166f.; Haase, Übergang, S. 20; Rei-
neke, Katholische Kirche, S. 109-111; Confessio Augu-
stana. Die Reformation in Lippe, S. 54; Schilling, Kon-
fessionskonflikte und hansestädtische Freiheiten, S. 36-
59; Oestmann, Gerichte, S. 423-430; Schröer, Refor-
mation 1, S. 469; Vogelsang, Bielefeld, S. 53-55.

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