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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Arend, Sabine [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0316
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Die Grafschaft Lippe

weltliche Privilegien und Rechte. Ende 1616 eskalierte die Auseinandersetzung noch einmal fast bis zum
Ausbruch eines Krieges, der erneut nur durch die Vermittlung Bischof Dietrichs145 von Paderborn unter-
bunden werden konnte. Dessen Beauftragte verhandelten seit dem 13. August 1617 im Lemgoer Rathaus
und auf dem Meierhof Röhrentrup - zwischen Lemgo und Detmold gelegen - mit den streitenden Parteien.
Simon VII. wurde von seinen Brüdern Otto (1589-1657), Hermann (1590-1620) und Philipp (1601-1681)
unterstützt sowie von Graf Christian von Waldeck, mit dessen Haus die Edelherren zur Lippe seit dem
13. Jahrhundert verschwägert waren. Lemgo erhielt auf der anderen Seite Beistand von den Hansestädten
Minden, Herford und Osnabrück.
Am 22. August 1617 führten die Verhandlungen schließlich im sogenannten Röhrentruper Rezess zu
einer vertraglichen Einigung. Die Vereinbarung regelt zunächst geistliche Sachen. Allen voran wird fest-
gehalten, dass die Lemgoer bei „dem freyen und unverhinderten exercitio ihrer religion“ bleiben können,
und zwar gemäß der Confessio Augustana von 1530 und deren Bestätigung durch die lippische Kirchenord-
nung von 1571. Ferner wird Lemgo zugestanden, die Geistlichen an den Pfarrkirchen St. Nicolai und
St. Marien selbst zu wählen und Eherechtssachen in erster Instanz zu entscheiden. Die Verwaltung des
Kirchen- und Armenvermögens sowie der Schule wird so belassen, wie sie 1571 in der Kirchenordnung
festgelegt wurde. Die Stadt muss jedoch auf das umstrittene Patronat für die Kirche in Hillentrup verzich-
ten und von Geldbußen, die sie aus Ehebruchsdelikten einzieht, dem Grafen den zehnten Teil abliefern. Zu
den im Röhrentruper Rezess geregelten weltlichen Punkten gehört unter anderem die Hochgerichtsbarkeit,
die in die Hände der Stadt Lemgo gelegt wird, Fragen der Ratswahl, Geleitsrecht für Juden, der in Lemgo
eingerichtete Schuldentilgungsfonds (Schatzkammer) sowie Hut- und Weiderechte.146
Die reformationsgeschichtliche Bedeutung des Röhrentruper Rezesses besteht darin, dass Graf Si-
mon VII. der Hansestadt Lemgo die politische und konfessionelle Eigenständigkeit bestätigte und sie damit
als lutherische Enklave innerhalb seiner reformierten Grafschaft anerkannte. Der Röhrentruper Rezess
besaß in Lippe bis 1854 Gültigkeit, in diesem Jahr wurde in der gesamten Grafschaft das lutherische und
katholische Bekenntnis als gleichberechtigt neben dem reformierten anerkannt.147
Der Röhrentruper Rezess wurde in doppelter Ausführung - für jeden der Vertragspartner - aufgesetzt,
beide Pergamenturkunden sind im Staatsarchiv Detmold bzw. im Stadtarchiv Lemgo erhalten.148 Während
das Detmolder Stück im Format 29,5 x 24 cm aus vier Doppelbögen besteht, ist das Lemgoer etwas größer
und umfasst nur zwei Bögen. Die Urkunden sind jeweils mit geflochtenen rot-weißen Wollschnüren zusam-
mengeheftet, an die am Detmolder Exemplar 15 Siegel in 13 Holzkapseln angehängt sind, während diese
vom Lemgoer Stück abgeschnitten wurden.
Das Detmolder Exemplar ist unterschrieben und gesiegelt von Dietrich von Fürstenberg, dem Bischof
von Paderborn in seiner Funktion als Lehnsherr der Grafschaft Lippe, Graf Christian von Waldeck, den
Grafen Simon VII. und seinem Bruder Hermann zur Lippe, den drei Vormündern des minderjährigen
Grafen Philipp zur Lippe, nämlich Philipp von Donop, Conrad Osterholz und Ludeke Waterbeke, ferner
von den Hofrichtern Simon Schwartze und Berthold Frahn. Nicht durch Unterschriften, sondern nur durch
ihre Siegel bezeugten neben Lemgo auch die verbündeten Hansestädte Osnabrück, Minden und Herford
sowie die lippischen Städte Lippstadt und Horn den Vertrag.

145 Dietrich IV. von Fürstenberg, Bischof zu Paderborn
(1585-1616), Brandt/Hengst, Erzbischöfe von Pader-
born, S. 222-228; Hengst, Karl, Dietrich von Fürsten-
berg, in: Gatz, Bischöfe, S. 207-209; Reineke, Katholi-
sche Kirche, S. 109-111.
146 In unseren Abdruck wurden nur solche Punkte aufgenom-
men, die kirchliche Fragen betreffen.
147 Fink, Rezess, S. 180; Confessio Augustana. Die Refor-

mation in Lippe, S. 54; Wiehmann, Zeitalter, S. 82;
Haase, Übergang, S. 21.
148 Vgl. Fink, Rezess, S. 168f., 173f. Abbildungen des Rezes-
ses bei Wiehmann, Zeitalter, S. 82f.; Confessio Augu-
stana. Die Reformation in Lippe, S. 52f.; Materialien zur
lippischen Landesgeschichte, S. 192, 207-219; Haase,
Reformieren, S. 58f.

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