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JAHRESFEIER
Induktion illustriert, dass Kernaussagen der Dialektik nach Hegel und Engels zumin-
dest in der Biologie erstaunlich modern sind und wesentliche Eigenschaften entwi-
ckelnder Systeme beschreiben. Tatsächlich deckt sich ihr Anspruch weitgehend mit
der als neues Paradigma in der modernen Biologie geltenden Systembiologie.
So definiert das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung in einer
öffentlichen Ausschreibung (2007)
Die Systembiologie zielt darauf ab, zu einem umfassenden quantitativen Verständnis der
dynamischen Interaktionen zwischen den Bausteinen und Komponenten eines biologi-
schen Systems zu gelangen, um das Verhalten des Systems als Ganzes zu verstehen und
Vorhersagen zu ermöglichen.
Man kann den Ministerialbeamten des Bundesministeriums für Bildung und For-
schung wahrscheinlich nicht dialektische Absichten unterstellen und dennoch klingt
dies bemerkenswert nach Hegels Das Wahre ist das Ganze. (Hegel, 1988)
Ich komme zum Schluss. In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften,
einem der wenigen gemeinsamen Foren von Geistes- und Naturwissenschaftlern,
stellen wir uns angesichts der unüberschaubaren Zersplitterung und überwältigen-
den Heterogenität unserer Disziplinen off implizit die Frage: Was verbindet uns
noch? Gibt es eine Einheit der Wissenschaft und wenn ja, worauf beruht sie? Auf
diese Frage hat der Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer geantwortet, dass eine
Aussicht auf ein einheitliches Weltbild in den Wissenschaften im Evolutionsbegriff
besteht (Vollmer, 1985). Tatsächlich ist der Darwinismus eine solche fachübergrei-
fende Evolutionstheorie geworden, die zwar ihren Ursprung in der Biologie hat, die
aber heute stark in andere Fächer ausstrahlt, sei es in die Anthropologie, Psycholo-
gie, Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Informatik oder Philoso-
phie. Als fachübergreifende Entwicklungs- oder Systemtheorie könnte die Dialektik
gleichfalls eine gewisse integrative Rolle spielen. Hegels Dialektik war nichts weni-
ger als der Versuch, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften in einer Univer-
saltheorie zu vereinen. Insofern schien es passend, anlässlich der Jahrestagung der
HAW diese Theorie an einem prominenten Vorgang aus der embryonalen Entwick-
lung zu spiegeln. Jedoch ist Dialektik, zumal dialektischer Materialismus, ideologisch
missbraucht worden und daher vermintes Gebiet, das viele negative Assoziationen
wachruft. Ferner sind eine Reihe von Aussagen der Dialektik vage, überholt oder
falsch (Popper, 1968; Popper, 1992; Bunge, 1981). Dies sind wesentliche Gründe für
die Scheu, zumal von Naturwissenschaftlern, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das
Beispiel der embryonalen Induktion illustriert jedoch, dass einige wesentliche Ele-
mente der Dialektik auch für heutige Naturforscher bemerkenswert aktuell sind.
Literatur
Bunge, M. (1981) Scientific Materialism. Reidel Publishing.
Engels, F. (1955) Dialektik der Natur. Dietz.
Hegel, G.W F. (1961) Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I. Reclam, Stutt-
gart.
JAHRESFEIER
Induktion illustriert, dass Kernaussagen der Dialektik nach Hegel und Engels zumin-
dest in der Biologie erstaunlich modern sind und wesentliche Eigenschaften entwi-
ckelnder Systeme beschreiben. Tatsächlich deckt sich ihr Anspruch weitgehend mit
der als neues Paradigma in der modernen Biologie geltenden Systembiologie.
So definiert das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung in einer
öffentlichen Ausschreibung (2007)
Die Systembiologie zielt darauf ab, zu einem umfassenden quantitativen Verständnis der
dynamischen Interaktionen zwischen den Bausteinen und Komponenten eines biologi-
schen Systems zu gelangen, um das Verhalten des Systems als Ganzes zu verstehen und
Vorhersagen zu ermöglichen.
Man kann den Ministerialbeamten des Bundesministeriums für Bildung und For-
schung wahrscheinlich nicht dialektische Absichten unterstellen und dennoch klingt
dies bemerkenswert nach Hegels Das Wahre ist das Ganze. (Hegel, 1988)
Ich komme zum Schluss. In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften,
einem der wenigen gemeinsamen Foren von Geistes- und Naturwissenschaftlern,
stellen wir uns angesichts der unüberschaubaren Zersplitterung und überwältigen-
den Heterogenität unserer Disziplinen off implizit die Frage: Was verbindet uns
noch? Gibt es eine Einheit der Wissenschaft und wenn ja, worauf beruht sie? Auf
diese Frage hat der Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer geantwortet, dass eine
Aussicht auf ein einheitliches Weltbild in den Wissenschaften im Evolutionsbegriff
besteht (Vollmer, 1985). Tatsächlich ist der Darwinismus eine solche fachübergrei-
fende Evolutionstheorie geworden, die zwar ihren Ursprung in der Biologie hat, die
aber heute stark in andere Fächer ausstrahlt, sei es in die Anthropologie, Psycholo-
gie, Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Informatik oder Philoso-
phie. Als fachübergreifende Entwicklungs- oder Systemtheorie könnte die Dialektik
gleichfalls eine gewisse integrative Rolle spielen. Hegels Dialektik war nichts weni-
ger als der Versuch, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften in einer Univer-
saltheorie zu vereinen. Insofern schien es passend, anlässlich der Jahrestagung der
HAW diese Theorie an einem prominenten Vorgang aus der embryonalen Entwick-
lung zu spiegeln. Jedoch ist Dialektik, zumal dialektischer Materialismus, ideologisch
missbraucht worden und daher vermintes Gebiet, das viele negative Assoziationen
wachruft. Ferner sind eine Reihe von Aussagen der Dialektik vage, überholt oder
falsch (Popper, 1968; Popper, 1992; Bunge, 1981). Dies sind wesentliche Gründe für
die Scheu, zumal von Naturwissenschaftlern, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das
Beispiel der embryonalen Induktion illustriert jedoch, dass einige wesentliche Ele-
mente der Dialektik auch für heutige Naturforscher bemerkenswert aktuell sind.
Literatur
Bunge, M. (1981) Scientific Materialism. Reidel Publishing.
Engels, F. (1955) Dialektik der Natur. Dietz.
Hegel, G.W F. (1961) Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I. Reclam, Stutt-
gart.