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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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I. Das Geschäftsjahr 2008
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Jahresfeier am 14. Juni 2008
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Niehrs, Christof: Dialektik der embryonalen Induktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0046
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14. Juni 2008

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te es sich um eine bloß zufällige Analogie handeln, die nur oberflächlich ist. So haben
z.B. die embryonale und die elektrische Induktion eine Reihe formaler Ähnlichkei-
ten, bis hin zum gleichen Begriff, und stehen dennoch in keinerlei direkter Bezie-
hung zueinander.
Oder aber diese Ähnlichkeit repräsentiert eine - zumindest partielle - Isomor-
phie, eine Passung von Natur- auf die Denkmuster, die eine gemeinsame Grundlage
hat. Die evolutionäre Erkenntnistheorie befasst sich genau mit der Frage wie es
kommt, dass unser Erkenntnisapparat so gut mit den Naturgesetzen übereinstimmt
(Lorenz, 1973; Riedl, 1980). Die Antwort der evolutionären Erkenntnistheorie lautet:
Weil unser Erkenntnisapparat selbst das Ergebnis der biologischen Evolution ist. Von
den vielen Denkmustern, welche die Evolution hervorgebracht hat, blieben nur jene
übrig, welche das Überleben ihres Trägers im Kampf ums Dasein förderten, mithin
solche, die weitgehend mit der Realität übereinstimmen. Nun ist Hegels Dialektik
sicher keine angeborene Anschauungsform wie z.B. die des dreidimensionalen Raums
oder der Zeit. Die Erklärung der Parallelität zwischen Dialektik und embryonaler
Induktion lässt sich wohl eher darin finden, dass in beiden Fällen Evolutionsprozesse
beschrieben werden. Die Dialektik ist im Grunde auch eine Evolutionstheorie mit
universellem Anspruch (Hörz u. Wessel, 1983). Sie versucht die Fragen zu beantwor-
ten, wie entstand etwas, wie entwickelt es sich und wie wird es sich in Zukunft ver-
halten.
Wir kennen die kosmische, chemische, geologische, biologische und kulturel-
le Evolution und man kann diese Prozesse als Glieder einer einzigen übergreifenden,
evolutiven Kette ansehen (Vollmer, 1985), oder mit Hegel als Kreis von Kreisen
(Hegel, 1986). Wiewohl es keine allgemeingültigen Kriterien für evolutive Prozesse
gibt, sind es verschiedenen Theoretikern zufolge (z.B. Prigogine and Stengers, 1993;
Vollmer, 1985) fünf wesentliche Elemente, die in der Kosmogenie und biologischen
Evolution zu Strukturen wie Elementarteilchen, Atomen, Molekülen, Polymeren,
Einzellern,Vielzellern, Menschen, Staaten etc. führten:
1. Zeitliche Abfolge von Prozessen (Zeitdifferential)
2. Irreversibilität, der Prozess als Ganzes ist nicht umkehrbar
3. kleinere Teile setzen sich zu immer größeren zusammen
4. die Zunahme der Komplexität des Systems
5. lokale Abnahme der Entropie, dem Ordnungsparameter der Thermodynamik
(AS>0).
In der Biologie gelten diese Regeln sowohl für die Embryonalentwicklung als auch
für die Stammesentwicklung, und wie wir gesehen haben, können Engels dialekti-
sche Gesetze getrost hinzugefügt werden. Diese dialektischen Gesetze oder besser
Regeln sind jedoch zu allgemein und es gibt zu viele Ausnahmen, als dass sie in der
Biologie den reduktionistischen Ansatz ersetzen könnten, der so erfolgreich ist, die
unmittelbaren Ursache-Wirkungsbeziehungen biologischer Teilsysteme aufzuklären.
Dass der reduktionistische Ansatz auf die Dauer jedoch unbefriedigend bleibt, sehen
wir in der Wissenschaftsgeschichte und besonders in der Biologie am wiederholten
Auftauchen holistischer Theorien, z.B. Vitalismus, Kybernetik, Synergetik, Netz-
werktheorie, Selbstorganisation und Chaostheorie. Die Dialektik der embryonalen
 
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