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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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I. Das Geschäftsjahr 2008
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 25. Juli 2008
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Langewiesche, Dieter: Was kann die Geschichtswissenschaft/Geisteswissenschaft von der Neurowissenschaft lernen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0076
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25. Juli 2008

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Wer konkrete gesellschaftliche Situationen untersucht, betrachtet den Menschen
stets unter Bedingungen, die er nur begrenzt gestalten kann. Diese Bedingungen in
ihrem historischen Wandel zu analysieren, ist das Geschäft der historischen Fächer.
Es geht um die Zurechenbarkeit von menschlichem Handeln auf jene Strukturen,
die als handlungsbestimmend angesehen werden. Neurowissenschaftliche Konditio-
nierungen von menschlichem Verhalten in geistes- und sozialwissenschaftlichen Ana-
lysen einzubeziehen, ist eine Herausforderung, denen sich die historischen Fächer
nicht entziehen sollten. Die Möglichkeiten dazu auszuloten, unternimmt der Tübin-
ger SFB Kriegserfahrungen. In ihm sind die Forschungen, die dem geschichtswissen-
schaftlichen Vortrag und dem neurowissenschaftlichen Kommentar zugrunde liegen,
entstanden.
In einem ersten Teil setzte sich der Vortrag mit dem Plädoyer des Mediävisten
Johannes Fried für eine „neurokulturelle Geschichtswissenschaft“ auseinander. Fried
fordert eine historische Memorik in einer neurokulturellen Geschichtswissenschaft.
Nur sie sei in der Lage, eine Vergangenheitsrealität zu erkennen, die durch biologi-
sche und kulturelle Formen menschlicher Wahrnehmung und Erinnerung nicht ver-
formt ist: eine ursprüngliche Wirklichkeit - wie sie eigentlich gewesen.
Dieser Suche nach einer unverfälschten Vergangenheit stellte derVortrag theo-
retische Einsichten in die Art der Vergangenheitserkenntnis entgegen, um zu erläu-
tern, warum die stets perspektivische Wahrnehmung von Vergangenheit keine Ver-
formung ist, die mit neurowissenschaftlicher Hilfe beseitigt werden sollte. Diese
Wahrnehmung und das Handeln, das daraus entsteht, sind vielmehr das genuine
Untersuchungsobjekt der Geschichtswissenschaft. Die Kooperation mit der Neuro-
wissenschaft hat nicht darauf zu zielen, Verformungen zu beseitigen, sondern sie so
zum Sprechen zu bringen, dass sie Aufschluss über die Vergangenheit geben. Deshalb
gehe, so wurde argumentiert, das Hilfegesuche des Historikers Fried an die Neuro-
wissenschaft in die falsche Richtung. Was er mit ihrer Hilfe beseitigen will, soll sie
verstehen helfen.
Im zweiten Teil des Vortrags wurde nach Kooperationsmöglichkeiten zwischen
Geschichts- und Neurowissenschaft in der Theoriedebatte und in der Forschungs-
praxis gefragt. Letzteres fehlt bei Fried gänzlich.
Zur Theorie: Neurowissenschaftliche und historisch-geisteswissenschaftliche
Theorien weisen, so argumentierten Vortrag und Kommentar entgegen der Annah-
me Frieds, vergleichbare Bauprinzipien in den Bereichen auf, die hier relevant sind:
1. Wahrnehmung ergibt kein umfassendes Wirklichkeitsabbild. Wahrnehmung ist
immer selektiv.
2. Erinnerung an Wahrgenommenes ist nicht stabil. Stabilität lässt weder die bio-
logisch-physikalische Funktionsweise des Gehirns zu noch das kulturelle
Umfeld, das in die neuronalen Verarbeitungsprozesse eingeht. Die Neurowis-
senschaft sieht das Gedächtnis als einen „kreativen Prozess“ (Eric Kandel), in
der Geschichtswissenschaft wird vom Überschreibung des Alten, das Neues her-
vorbringt (Reinhart Koselleck), gesprochen.
3. Das Gehirn wird von der Neurowissenschaft als ein „hochdynamisches System“
(Wolf Singer) definiert, das keine Oberinstanz kennt, welche die neuronalen
 
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