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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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I. Das Geschäftsjahr 2008
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 25. Juli 2008
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Langewiesche, Dieter: Was kann die Geschichtswissenschaft/Geisteswissenschaft von der Neurowissenschaft lernen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0077
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90 | SITZUNGEN

Verknüpfungen steuert. Die Steuerung liegt in den Verknüpfungsprozessen
selbst. Sozialwissenschaftliche akteurstheoretische Ansätze lassen sich als Analo-
gie zu dem sehen , was die Neuro Wissenschaften über das Gehirn als ein selbs-
treflexives System ohne Entscheidungszentrum sagen: Der Akteur schafft Struk-
turen.
Zur Forschungspraxis: Hier wurden Überlegungen fortgeführt, die beide Redner
2006 in einem gemeinsamen Aufsatz (Neuropsychologie und Historie — Versuch
einer empirischen Annäherung. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) und
Soziopathie in Österreich, in: Geschichte u. Gesellschaft 32 (2006) 153-175) publi-
ziert haben. Fünf Forschungsbereiche wurden erörtert:
1. Mithilfe der Neuro Wissenschaft das Instrumentarium für historische Quellen-
kritik ergänzen. Im Gegensatz zu Fried wird kein radikal neuer Ansatz erwar-
tet. Es geht um neue Begründungen, die Bekanntes besser erklären.
2. Die Neurowissenschaft braucht das Laborexperiment. Deshalb sollten in
Kooperation Möglichkeiten entworfen werden, die Vergangenheit laborfähig
machen. So könnten Texte oder Bilder, mit denen in früheren Zeiten antisemi-
tische Einstellungen geäußert wurden, mit neurowissenschaftlichen Untersu-
chungsverfahren darauf geprüft werden, welche Wirkungen sie auf Probanden
ausüben. Die Ergebnisse ließen sich nicht einfach auf die Vergangenheit über-
tragen, weil deren gesellschaftliches Umfeld nicht simuliert werden kann, doch
sie versprechen neue Einsichten.
3. Historische Themen betrachten, für die Quellen zur Verfügung stehen, die einer
neurowissenschaftlichen Reinterpretation zugänglich sind, z. B. Opfer- und
Täterzeugnisse.
4. Akteursforschung. Es müsste für die historische Akteursforschung eine Heraus-
forderung sein, mit Hilfe des neurowissenschaftlichen Ansatzes, der von kom-
plexen Vernetzungen im Gehirn ohne eine steuernde Oberinstanz ausgeht,
gesellschaftliche Handlungstheorien theoretisch neu zu betrachten und für die
empirische Forschung zu nutzen.
5. Neuronale und kulturelle Überschreibungen (s. oben Punkt 2) aufeinander
beziehen, indem Umbruchsphasen betrachtet werden, die Menschen neue
Weltdeutungen und damit auch neue historische Sinnzuschreibungen abverlan-
gen.
In solchen und anderen Bereichen kooperativ und wechselseitigen lernend zu for-
schen, ist jede Anstrengung wert.
Es ist geplant,Vortrag und Kommentar für die Schriftenreihe der Akademie auszuar-
beiten.
 
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