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ANTRITTSREDEN
waren es insbesondere geistige ‘Konfrontationen’ in diesem Bereich, die mich nach-
haltig prägten. Das größte Faszinosum übte dabei das zunächst befremdende Denken
von Autoren aus, die nur marginal, wenn überhaupt in den Lehrplänen vorkamen,
mit denen uns aber Lehrer vertraut machten, deren vorrangigstes Anliegen darin
bestand, das Denken ihrer Schüler nicht auf das bloße ‘Nach’- bzw. ‘Hinterher-Den-
ken’ des im Lehrbuch in allen Facetten bereits zu Ende Gedachten zu reduzieren,
sondern sie zum ‘Selbst-Denken’ oder besser zum ‘Denken des Selbst’ zu provozie-
ren. Denker, die Horizonte jenseits des Vertrauten aufschlossen, die kreativ beunru-
higten, boten jene Verlockung, der ich mich auch nach Abschluss meiner Gymnasi-
alzeit nicht entziehen konnte.
Das Studium nahm ich im Jahre 1974 an der Universität Freiburg auf. Nach
einer ‘Kurzvisite’ im Fach Psychologie widmete ich mich alsbald der Germanistik,
Anglistik und Philosophie, Fächern also, die es mir erlaubten, das Paradoxon eines
unabschließbaren Weltaufschlusses und ein Denken im Zeichen des hermeneuti-
schen Zirkels zu Prinzipien meiner Studien zu machen. In der Germanistik beein-
druckten mich akademische Lehrer wie Gerhard Kaiser und Wolfram Mauser, in der
Philosophie Werner Marx, Werner Beierwaltes und Friedrich A. Uehlein, dem ich
sehr viel von dem verdanke, was mich später in meinen Reflexionen zu den ameri-
kanischen Denkern des 19. Jahrhunderts — insbesondere den Transzendentalisten —
immer wieder einholen sollte. Alle genannten akademischen Lehrer forderten glei-
chermaßen den unverstellten Blick, der weder durch bereits kanonisch gewordene
Deutungsparadigmen noch durch Moden getrübt war; sie alle forderten eine gewis-
se Unerbittlichkeit im sich nicht zufriedengeben wollenden Nachfragen.
Der wohl entscheidende Impuls für meine spätere akademische Ausrichtung
kam indes während eines Auslandsstudienjahres an der University of Kent in Can-
terbury. Paradoxerweise bedurfte es eines Studienaufenthaltes in England, um mich
für ein Fach einzunehmen, dem im Canterbury der späten 1970er Jahre bestenfalls
der Status eines gelittenen, aber nicht gerade geschätzten Faches zukam. Neben den
regulären, höchst intensiven, da in Kleinstgruppen von zwei Studierenden unter-
richteten Kursen etwa zum Werk William Shakespeares, besuchte ich einen indepen-
dent siudies-Kurs zur amerikanischen Lyrik der literarischen Moderne, in dem ich
jene Provokation fand, die meinen Neigungen eine dauerhafte Wendung gab. Nach
Freiburg zurückgekehrt richtete ich mein Anglistikstudium auf den Studienabschluss
im Fach Amerikanistik aus.
Die Bemühung um die Erfassung weiter kulturgeschichtlicher Zusammen-
hänge und insbesondere um die Wirkkraft von ideologischen Grundmustern kenn-
zeichneten meine Qualifikationsschriften. Franz Link, mein verehrter Doktorvater,
der sich stets höchst gewinnbringend mit weit in die Geistesgeschichte und in die
unterschiedlichsten Literaturen ausgreifenden Publikationsprojekten befasste, bot
mir während meiner gesamten Assistentenzeit hinreichende Anstöße zum Weiter-
denken und — vor allem — zum Erkunden von Neuem.
Obwohl ich mich ungern einem Lebensmotto verschreiben möchte, gilt mir
doch seit meiner Freiburger Zeit ein Aphorismus Ralph Waldo Emersons als akade-
mischer Wahlspruch: “Be not the slave ofyour own past”. Dieser Maxime eingedenk
ANTRITTSREDEN
waren es insbesondere geistige ‘Konfrontationen’ in diesem Bereich, die mich nach-
haltig prägten. Das größte Faszinosum übte dabei das zunächst befremdende Denken
von Autoren aus, die nur marginal, wenn überhaupt in den Lehrplänen vorkamen,
mit denen uns aber Lehrer vertraut machten, deren vorrangigstes Anliegen darin
bestand, das Denken ihrer Schüler nicht auf das bloße ‘Nach’- bzw. ‘Hinterher-Den-
ken’ des im Lehrbuch in allen Facetten bereits zu Ende Gedachten zu reduzieren,
sondern sie zum ‘Selbst-Denken’ oder besser zum ‘Denken des Selbst’ zu provozie-
ren. Denker, die Horizonte jenseits des Vertrauten aufschlossen, die kreativ beunru-
higten, boten jene Verlockung, der ich mich auch nach Abschluss meiner Gymnasi-
alzeit nicht entziehen konnte.
Das Studium nahm ich im Jahre 1974 an der Universität Freiburg auf. Nach
einer ‘Kurzvisite’ im Fach Psychologie widmete ich mich alsbald der Germanistik,
Anglistik und Philosophie, Fächern also, die es mir erlaubten, das Paradoxon eines
unabschließbaren Weltaufschlusses und ein Denken im Zeichen des hermeneuti-
schen Zirkels zu Prinzipien meiner Studien zu machen. In der Germanistik beein-
druckten mich akademische Lehrer wie Gerhard Kaiser und Wolfram Mauser, in der
Philosophie Werner Marx, Werner Beierwaltes und Friedrich A. Uehlein, dem ich
sehr viel von dem verdanke, was mich später in meinen Reflexionen zu den ameri-
kanischen Denkern des 19. Jahrhunderts — insbesondere den Transzendentalisten —
immer wieder einholen sollte. Alle genannten akademischen Lehrer forderten glei-
chermaßen den unverstellten Blick, der weder durch bereits kanonisch gewordene
Deutungsparadigmen noch durch Moden getrübt war; sie alle forderten eine gewis-
se Unerbittlichkeit im sich nicht zufriedengeben wollenden Nachfragen.
Der wohl entscheidende Impuls für meine spätere akademische Ausrichtung
kam indes während eines Auslandsstudienjahres an der University of Kent in Can-
terbury. Paradoxerweise bedurfte es eines Studienaufenthaltes in England, um mich
für ein Fach einzunehmen, dem im Canterbury der späten 1970er Jahre bestenfalls
der Status eines gelittenen, aber nicht gerade geschätzten Faches zukam. Neben den
regulären, höchst intensiven, da in Kleinstgruppen von zwei Studierenden unter-
richteten Kursen etwa zum Werk William Shakespeares, besuchte ich einen indepen-
dent siudies-Kurs zur amerikanischen Lyrik der literarischen Moderne, in dem ich
jene Provokation fand, die meinen Neigungen eine dauerhafte Wendung gab. Nach
Freiburg zurückgekehrt richtete ich mein Anglistikstudium auf den Studienabschluss
im Fach Amerikanistik aus.
Die Bemühung um die Erfassung weiter kulturgeschichtlicher Zusammen-
hänge und insbesondere um die Wirkkraft von ideologischen Grundmustern kenn-
zeichneten meine Qualifikationsschriften. Franz Link, mein verehrter Doktorvater,
der sich stets höchst gewinnbringend mit weit in die Geistesgeschichte und in die
unterschiedlichsten Literaturen ausgreifenden Publikationsprojekten befasste, bot
mir während meiner gesamten Assistentenzeit hinreichende Anstöße zum Weiter-
denken und — vor allem — zum Erkunden von Neuem.
Obwohl ich mich ungern einem Lebensmotto verschreiben möchte, gilt mir
doch seit meiner Freiburger Zeit ein Aphorismus Ralph Waldo Emersons als akade-
mischer Wahlspruch: “Be not the slave ofyour own past”. Dieser Maxime eingedenk