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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2008
DOI Kapitel:
Antrittsreden
DOI Artikel:
Kaiser, Wolfgang: Antrittsrede vom 25. Oktober 2008
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0133
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ANTRITTSREDEN

Von nun an sollte ich jedes Semester sowohl das Seminar zum griechischen
wie zum römischen Recht besuchen. Diese Seminare waren der schönste Teil mei-
nes Studiums. Da ich jedes Mal ein Referat übernahm, beschäftigte ich mich — nach
den obligatorischen juristischen Hausarbeiten — in den Semesterferien mit den
Gerichtsreden des Demosthenes, dem römischen Bereicherungsrecht, den Reden
gegen Verres, griechischer Verfassungstheorie, juristischer Papyrologie oder dem
römischen Recht in den Provinzen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Seminare zeichneten sich durch lebhafte Diskussionen und akribische
Quellenexegesen aus. Hier habe ich wohl am meisten über den Umgang mit Quel-
len aus der Antike und über die Überschreitung von spezifisch juristischen Fach-
grenzen gelernt. Dies prägte mich, auch wenn sich später meine eigene wissen-
schaftliche Arbeit mit dem Forschungsfeld von Dieter Nörr nicht überschnitt.
Die Zahl der Teilnehmer am Seminar hob sich wohltuend vom Vorlesungsbe-
trieb ab. Gut erinnere ich mich noch an ein Seminar zur juristischen Papyrologie, an
dem ungefähr 15 Personen teilnahmen, darunter zwei Professoren, vier oder fünf
Assistenten, verschiedene Doktoranden und auswärtige Gäste sowie ich als einziger
studentischer Teilnehmer. Das Seminar wurde dann auch, da es mit einer Pflichtvor-
lesung kollidierte, auf meinen Wunsch hin um eine halbe Stunde verlegt.
Vielleicht verdanke ich es der Notwendigkeit, mich bei den verschiedenen
Seminarreferaten mit unterschiedlichen Materien eigenständig vertraut zu machen,
dass ich anders als die meisten meiner Kommilitonen zur Vorbereitung auf das erste
juristische Staatsexamen keine kommerzielle Nachhilfe, sogenannte „Repetitoren“,
in Anspruch nahm. Dies war mit meinem Selbstverständnis unvereinbar, eine Ein-
stellung, die ich heute bei meinen Mitarbeitern als selbstverständlich voraussetze und
die ich auch an unsere Studenten weiterzugeben suche.
Zugleich gehörte zu meinem Selbstverständnis, dass ein Rechtshistoriker keine
Schwächen im geltenden Recht aufweisen darf. Diesen Grundsatz habe ich bei mei-
ner Examensvorbereitung befolgt und halte mich auch bei meinen Vorlesungen
daran.
Nach dem ersten Staatsexamen begann ich mit der Promotion, unterbrochen
von der Vorbereitung auf das zweite juristische Staatsexamen. Schon bei meinen
Seminarreferaten hatten mich immer wieder Themen zur handschriftlichen Über-
lieferung der Quellen des römischen Rechts fasziniert. Dies sollte dann meine
Leidenschaft werden.
Die notwendigen paläographischen Fertigkeiten konnte ich mir im mittel-
lateinischen Seminar sowie in der Byzantinistik in München aneignen. Kenntnisse
über das Fortwirken des römischen Rechts im Hochmittelalter vermittelten mir
Kurse an der scuola internazionale di diritto comune, in Erice auf Sizilien, an denen
ich als Student teilnehmen konnte. Später nutzte ich die Wahlstation nach dem
schriftlichen Teil des zweiten Staatsexamens, um nach Italien, genauer nach Neapel
zu gehen und dort nicht nur die Biblioteca nazionale zu besuchen, sondern auch
Bibliotheksreisen nach Verona und Florenz zu unternehmen.
Als Dissertationsthema hatte ich mir die Haupthandschrift der wichtigsten
Quelle des römischen Rechts, den Digesten des Kaisers Justinian, gewählt. Die
 
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