Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2008
DOI Kapitel:
Antrittsreden
DOI Artikel:
Kaiser, Wolfgang: Antrittsrede vom 25. Oktober 2008
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0134
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wolfgang Kaiser

147

Handschrift, der sogenannte Codex Florentinus Digestorum, stammt noch aus dem
sechsten Jahrhundert und gehört mit über 800 Blättern zu den größten Manuskrip-
ten, die aus der Antike vollständig erhalten sind.
Im Verlaufe der Arbeit untersuchte ich auch ein Fragment der Digesten, das —
insoweit ein Unikat — aus dem beginnenden neunten Jahrhundert stammt und nur
erhalten ist, weil es aufgrund eines Bindeversehens in eine andere Handschrift
gelangte, die ihrerseits eine lateinische Übersetzung griechischer Gesetze des Kaisers
Justinian enthält. Um zu bestimmen, weshalb das Digestenfragment in die Hand-
schrift geriet, war es nötig, die handschriftliche Überlieferung der lateinischen Über-
setzung, der sogenannten Epitome luliani, aufzuarbeiten.
Nach fünf Jahren, ungezählten Stunden vor Mikrofilmlesegeräten und 1000
Seiten Text war ich dann mit der Doktorarbeit über die Epitome luliani fertig,
genauer: Die Arbeit wurde von Dieter Nörr für beendet erklärt.
Freilich stand meine damalige Umwelt meinen Versuchen der Textbestimmung
eher kritisch gegenüber: Ich entsinne mich, dass mich jemand aus dem Kollegenkreis
dabei beobachtete, wie ich vor dem Mikrofilmlesegerät mühselig eine Handschrift
entzifferte und mit einer Druckausgabe verglich. Statt des erwarteten Zuspruchs
folgte die Bemerkung, dass man hier wohl auch einen Schimpansen hinsetzen
könne.
Die Fachwelt sah das glücklicherweise anders: Im Jahr 2007 bekam ich für die
Arbeit über die Epitome luliani den siebten Premio Internazionale Gerard Boulvert
verliehen. Es schmeichelte meiner Forscherseele sehr, dass mich der Laudator bei der
Preisverleihung in Sizilien in eine Reihe mit Gelehrten wie Theodor Mommsen
und Paul Krüger stellte.
Trotz der Mühsal, die mit der handschriftlichen Arbeit verbunden war, sehne
ich die Zeit herbei, in der ich wieder einmal so forschen kann wie damals. Dieter
Nörr ließ mir jede Freiheit. Viel gelernt habe ich auch von Peter Landau, der mir
den Zugang zur Kanonistik eröffnete und die Möglichkeit gewährte, den großen
Schatz an Mikrofilmen im Stephan-Kuttner-Institut of Medieval Canon Law zu
benutzen.
Die Habilitation ging dann schnell. Auch sie basierte auf Handschriftenfor-
schung und behandelte eine sehr heterogene Sammlung von Texten aus dem römi-
schen Recht, deren wohl interessantester eine professionelle, noch spätantike Fäl-
schung einer Kaiserkonstitution war, die verhindern sollte, dass Kleriker sich vor
weltlichen Gerichten verantworten müssen.
Im Sommer 2001 wurde ich habilitiert; im Herbst desselben Jahres erhielt ich
einen Ruf an die Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Im Sommer 2004 folgten dann zwei weitere Rufe, der eine an die Rheinische
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der andere an die Albert-Ludwigs-Univer-
sität in Freiburg. Letzteren nahm ich an, wenngleich die finanzielle Ausstattung in
Bonn immerhin fast das Doppelte gegenüber Freiburg betragen hätte. Aber Freiburg
ist einer der ganz wenigen Orte in Deutschland, an denen in der Rechtsgeschichte
nicht nur römisches Recht, sondern auch griechisches Recht und juristische Papy-
rologie kontinuierlich gepflegt wurden. Auch spielen für mich persönlich Traditio-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften