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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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II. Die Forschungsvorhaben
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Tätigkeitsberichte
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Der Akademie zugeordnete Forschungsvorhaben
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Biographie und Krankheit Ludwigs II., König von Bayern (1845-1886)
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0237
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250 | TÄTIGKEITSBERICHTE

veränderte Sichtweise auf die Krankheiten des Königs, auf die korrekte Erfüllung
seiner verfassungsgemäßen Aufgaben und auf seine außergewöhnlichen Leistungen
in Kunst, Architektur und für musikalische und technische Bildung. Das folgen-
schwere Versäumnis seiner repräsentativen königlichen Pflichten als Folge einer
sozialen Phobie hat den König die Sympathie vieler Untertanen gekostet. Seine aus
kindlicher Lust am spielerischen Errichten großartiger Bauten hervorwachsende
Passion der Gestaltung majestätischer Schlösser im historizistisch pompösen Stil der
Zeit wurde allmählich zum dominanten Lebensinhalt, zumal nach dem Ansehens-
und Souveränitätsverlust der bayerischen Krone im Deutschen Kaiserreich. Mit dem
Abgleiten in (nicht substanzgebundenes) süchtiges Verhalten und dem Verlust der
Kontrolle über seine wachsenden Ausgaben geriet der König in eine ernste Schul-
denkrise. Die Weigerung der Regierung, den ihm von Bismarck empfohlenen Schritt
in den Landtag zur Deckung der Schulden durch den Staatshaushalt zu ermöglichen,
brachte den König in eine finanziell ausweglose Situation. Die hohe Verschuldung
ausschließlich zu Lasten der königlichen Familie mit der Perspektive, durch neue
großartige Baupläne des Königs weiter steil anzuwachsen, war ein ausschlaggebender
Grund, die Entmündigung und Entmachtung des Königs anzustreben.
Zwei andere wesentliche Motivbündel, die im Buch dargestellt sind, verschärf-
ten die Situation. Im Juli 1885 wurde schließlich der Anstoß zur Einleitung des
Verfahrens durch Prinz Luitpold gegeben. Die Regierung war nach anfänglicher
Weigerung aus verständlichen Gründen beigetreten.
Auf das Zustandekommen des psychiatrischen Gutachtens, das Ludwig II. für
geisteskrank und regierungsunfähig beurteilte, auf den Verfasser des Gutachtens und
auf das gesamte gegen den König geführte Verfahren der Entmachtung und Ent-
mündigung wird auf verfassungsrechtlicher, politischer und strategisch-praktischer
Ebene eingegangen.
Die verfassungsrechtliche Konstruktion des Verfahrens verweist auf einen zivi-
lisationsgeschichtlichen Hintergrund. Im 19. Jahrhundert entwickelten mehrere
konstitutionelle Monarchien EuropasVerfassungen, die eine Regelung für die Ent-
machtung des Herrschers wegen Regierungsunfähigkeit vorsahen. In Verbindung
mit der Tatsache, dass Geisteskrankheit und Geistesschwäche die häufigsten Ursachen
von Regierungsunfähigkeit sind, begann auch die Indienststellung der jungen medi-
zinischen Disziplin Psychiatrie. Ihre Aufgabe war einmal die Abgabe von Exper-
tenurteilen über Geisteskrankheit und Regierungsunfähigkeit und zum anderen, die
Wegschließung des entmachteten Herrschers in psychiatrischem Gewahrsam. Die
psychiatrische Internierung trat an die Stelle früherer grausamerer Methoden, die
eine Rückkehr zur Macht verhindern sollten, beispielsweise Tötung, Verbannung
oder Festungshaft des Entmachteten. Der Humanitätsgewinn war jedoch bescheiden.
Zur Bearbeitung dieser rechtshistorischen Frage konzentrierten wir uns auf das 19.
Jahrhundert und stellten dem Verfahren gegen Ludwig II. zeitgerechte Beispiele
gegenüber, etwa die psychiatrische Begutachtung und nachfolgende Entmachtung
des osmanischen Sultans Murat V. und des badischen Erbgroßherzogs Ludwig. Beide
Fälle ereigneten sich kurze Zeit vor der Entmachtung König Ludwigs II. Wahr-
scheinlich dienten sie als Vorbilder des gegen Ludwig II. eingeleiteten Verfahrens der
 
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