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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunkt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0257
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Grund auf und unverbrüchlich gemeinschafts-, kooperations- und subsidiaritätsver-
wiesen. Hierauf gründet die Vorstellung praktischer Zusammengehörigkeiten und
gemeinsamer Verantwortung der Einzelnen in kleineren und größeren lebensweltli-
chen de-facto-Kollektiven, die sich ideell zu gefühlsmäßigen oder moralischen, kon-
sensuell und vertraglich sogar zu de-jure-Einheiten organisieren lassen. Auf soziale
Ganzheiten der erstgenannten Art bezogen meint der sozialmoralische Solidaritäts-
begrifflegitime Beanspruchbarkeit und fordert tätige Mitverantwortung der Einzel-
nen für gegenseitige Unterstützung und Hilfe — im Namen eines gesamthaften
Ganzen, als dessen kooperations- und subsidiaritätspflichtige Teile die Einzelnen sich
einsehen lernen können. Übertragen auf die EU bedeutet dies zunächst ein Ange-
wiesensein der europäischen Völker aufeinander, weil sie autarkieunfähig sind. Völ-
kersolidarität meint daher zunächst die Anerkennung der gegenseitigen Hilfsbedürf-
tigkeit und daraus folgend den Anspruch auf gegenseitige Unterstützung.
Im Blick auf die EU kann das Konzept „Völkersolidarität“ schon als teilweise
realisiert angesehen werden. Das gilt gerade im Blick auf institutionelle Reformen,
die statt des formell gescheiterten VVE nunmehr der Vertrag von Lissabon als EU-
Primärrecht auch im Sinne einer Förderung europäischer Völkersolidarität ins Werk
setzt. Dabei wird nicht nur die Zugehörigkeit der Solidarität zu den Grundwerten
der EU betont (so etwa in der EU-Grundrechtscharta sowie in der im Vertrag von
Lissabon vorgesehenen Neufassung des Art. 2 EUV). Auch werden Solidaritäts-
pflichten mit präzisem Rechtscharakter normiert. Grob kann man hierbei zwischen
innen- und außenpolitisch ausgerichteten Regelungen unterscheiden, in der Sache
aber häufig nicht völlig trennen. So ist etwa der EU-intern zur Entschärfung wider-
strebender Kräfte und Interessen nach den Maßgaben der europäischen Verträge
praktizierte Solidarausgleich so ausgelegt, dass er sich auch nach außen positiv aus-
wirkt: EU-Interessen sind auf internationaler Ebene erfolgreicher zu verteidigen,
wenn die EU nach innen ihren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt
bewahrt. Umgekehrt können Wirkungen nach innen auch durch eine außenpolitisch
ausgerichtete bindende Solidaritätsklausel entstehen: so etwa im Fall des Artikels I—
43 VVE, den der Vertrag von Lissabon leicht abgewandelt als Artikel 188r des neuen
Titels VII des neugefassten EUV vorsieht. Diese Klausel wird akut, sobald ein Mit-
gliedsstaat von einem Terrorschlag oder einer Katastrophe natürlichen oder mensch-
lichen Ursprungs betroffen ist. Dann handeln die Union und ihre Mitgliedsstaaten
„gemeinsam im Geiste der Solidarität“. Die Union mobilisiert „alle ihr zur Verfü-
gung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedsstaaten bereitgestell-
ten militärischen Mittel“, um dem betroffenen Mitgliedstaat beizustehen.
Die Völkersolidarität bedeutet dabei im EU Kontext nicht Gleichmacherei.
Sie fordert ein gewisses Maß an Koordination, das ungleichen Partnern gleiche
Chancen zur Entwicklung lässt. Innerhalb dieser Chancengleichheit können aber die
Staaten für ihre Menschen ihre Solidaritätsansprüche definieren und die Systeme
schaffen, die ihre sozialstaatliche Solidarität organisiert. Völkersolidarität bedeutet
also auch in der EU die Unterscheidung zwischen sozialstaatlicher Volkssolidarität
und gemeinsamer Völkersolidarität, die dort beginnt, wo die staatlichen Mittel allein
nicht mehr ausreichen.
 
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