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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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3. Forschungsschwerpunkt "Der menschliche Lebenszyklus - Biologische, gesellschaftliche, kulturelle Aspekte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0285
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Zentrum des Korpus stehen Erzähltexte vom beginnenden 19. Jahrhundert, etwa
Johann Wolfgang von Goethes Der Mann von fünfzig Jahren, bis in die erste Hälfte des
20. Jahrhunderts, etwa Jakob Wassermanns Der Mann von vierzig Jahren.
Im vergangenen Jahr wurde die bibliographische Erhebung weitgehend abge-
schlossen. Das Korpus der Alternserzählungen und der dem gleichen Sujet zuzuord-
nenden Texte anderer Gattungen umfasst mehr als sechzig Werke. Fremdsprachige
Texte wurden nur insofern aufgenommen, als sie mit der fast ausschließlich in
deutscher Sprache vorkommenden Titelvariante »Die Frau/Der Mann von [...] Jah-
ren« in einer engen Beziehung stehen. Dies erscheint insoweit sinnvoll, als der Titel
explizit aufVerzeitlichung des Lebens hinweist. Wo dies nicht Eingang in die Titel-
formulierung gefunden hat, wurde ein Text nur dann aufgenommen, wenn das
Problem der Lebenszeit zentral verhandelt wird, wie etwa in Virginia Woolfs Mrs.
Dalloway.
Einzelstudien, wie die gattungsübergreifende Rezeption des französischen
Lustspielstoffs La Pupille von Kotzebues Der Mann von vierzig Jahren zu Goethes
bekannter Erzählung und Pius Alexander Wolffs titelgleichem Lustspiel bis zu
Adalbert Stifters später Erzählung Der fromme Spruch, zeigen die Formenvielfalt sub-
jektiver Alternsdarstellung im langen 19. Jahrhundert. Sie reicht von traditionellen
Formen wie dem dramatischen Reflexionsmonolog über Textinterferenzen, in
denen Erzählerperspektive und Personentexte, Fremdzuschreibung und Selbstdeu-
tung einander überlagern, bis hin zur veräußerlichten Spiegelung der krisenhaften
Erfahrung auf der Ebene des recit. Dabei hat sich die Annahme bestätigt, dass auf die
Verzeitlichung des Lebens, wie sie sich besonders im Konstrukt eines >gefährlichen
Alters< verdichtet, vor allem in der Narration innovativ reflektiert wird. Im Zentrum
der fortgesetzten Auswertung steht deshalb die erzählerische Bewältigung sterblicher
Zeit. Wie Altern als individuelle Zeiterfahrung auch dadurch anschaulich wird, dass
Alterstopoi rekombiniert und subjektiviert werden, konnte an einer Untersuchung
zum Dissonanztopos des Greises im Frühling exemplarisch nachgezeichnet werden.
Die seit der Antike topische Figur, Lebensalter mit den Jahreszeiten zu vergleichen,
bezieht zyklische und lineare Zeitmodelle dissonant aufeinander. Dies führt im aus-
gehenden 18. Jahrhundert zu einer allmählichen Resignifikation des Vergänglich-
keitstopos, von der metaphysischen Ausdehnung der Lebenszeit bis zur individuellen
Selbstbehauptung des Alters gegen das Diskursmuster einer den Jahreszeiten
gemäßen, natürlichen Abdankung. Das Beispiel des Dissonanztopos macht darüber
hinaus deutlich, wie die Spannung aus der veräußerlichenden Naturalisierung des
Alterungsprozesses und der individuellen Erfahrung eines im Grunde unzeit-
gemäßen Alters im Frühling zu produktiven Variationen führen kann, in denen sich
ein gewandeltes anthropologisches Wissen ausspricht und erprobt.
Ausblick
Während das Symposium Alterstopoi. Neues im alten Wissen von den Lebensaltern im
interdisziplinären Gespräch von Literaturwissenschaft, Theologie, Kunst-, Medizin
und Rechtsgeschichte vor allem dazu diente, eine methodische Grundlegung der
 
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