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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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4. Forschungsschwerpunkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0299
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312 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

sind ein wesentliches Element unserer alltäglichen Raumwahrnehmung. Bei dieser
Art von Raumerzeugung und -Strukturierung wirken verschiedene Faktoren, von
denen ein omnipräs enter, die Grenze, hier als Beispiel herausgegriffen sei: Selbst
wenn Grenzziehungen bisweilen mit natürlichen Grenzen zusammenfallen und
durch diese befördert werden mögen, sind sie doch immer „gesetzt“, um besondere
Rechtsqualitäten oder -ansprüche zu definieren; sie haben also normativen Charak-
ter. Dadurch konstituieren sie eine normativ fundierte Raumstrukturierung, eine
„Raumordnung“. Raumordnung in diesem Sinne ist nicht metaphorisch zu verste-
hen (etwa im Sinne sozialer Schranken), da sie sich in konkreten, durch positive oder
negative Sanktionen geschützten, meist materiell kenntlich gemachten Grenzzie-
hungen im physischen Lebensraum niederschlägt: Sie reichen vom Gartenzaun über
Grenzsteine bis zur Berliner Mauer, können ritueller oder performativer Natur sein
wie die Flurbegehung einer Dorfmark oder die Prozession zu oder um einen Hei-
ligen Ort oder in Sinnzuschreibungen bestehen, indem die Grenze beispielsweise
den Beginn bedrohlicher Wildnis markiert. Bisweilen sind Grenzen sogar rein virtu-
eller Natur und dennoch normativ wirksam, wie zum Beispiel noch eine Konfessi-
onskarte Deutschlands im früheren zwanzigsten Jahrhundert zeigen könnte. All dem
liegen soziokulturelle Ordnungskonzepte zugrunde. Die Frage nach der normativen
Raumordnung ist damit die Frage, wie sich soziokulturelle Ordnungen in den phy-
sischen Lebensraum des Menschen einschreiben. Die Beziehung von Raumordnung
und soziokultureller Ordnung ist dabei wechselseitig: Staatsgrenzen beispielsweise,
insbesondere die nationalstaatlichen Grenzen des 19. und 20. Jahrhunderts, sind zwar
einerseits Ausfluss solcher Ordnungskonzepte, wirken andererseits aber in erheb-
lichem Maße auf Interaktionsmuster, Mentalitäten und Sozialstrukturen zurück. Die
durch Grenzziehung oder andere Mechanismen begründete, normative Raumord-
nung ist damit Konsequenz, zugleich aber auch Konstituante soziokultureller Ord-
nungen.
Raumordnungen sind nach dem Gesagten eng mit ihrem jeweiligen soziokul-
turellen Kontext verknüpft und führen dadurch zu sehr unterschiedlichen histori-
schen Ausprägungen: Während die griechischen Poleis, um ein Beispiel aus dem
Arbeitsgebiet der Projektgruppe aufzugreifen, schon recht früh das Konzept eines
abgegrenzten politischen Territoriums kannten, entwickelten die altorientalischen
Reiche erst spät oder gar nicht die Vorstellung fixierter Reichsgebiete; dagegen fin-
det sich in der griechischen Antike kein Äquivalent zu der hohen Bedeutung, die die
rituelle Abgrenzung des städtischen Lebensraums nach außen in der Stadt Rom
hatte, wo die sakrale Stadtgrenze, das pomerium, sehr konkrete politische und recht-
liche Wirkungen entfalten konnte. Will man trotz solcher Unterschiede zu über den
jeweiligen Einzelfall hinaus gültigen Erträgen kommen, bietet ein komparatistischer
Ansatz — trotz der gegenwärtig zunehmenden und sicherlich berechtigten Skepsis am
methodisch unreflektierten Kulturvergleich - immer noch den besten heuristischen
Zugang zu der Problematik: Nur durch die Herausarbeitung spezifischer Differen-
zen, aber ggf. auch Gemeinsamkeiten oder funktionaler Äquivalente raumordnungs-
bezogener Praktiken, Konzepte und Sinnzuschreibungen verschiedener Kulturen
können deren Funktion in der jeweils betrachteten Gesellschaft ohne ethnozentri-
 
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