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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
nie ein konsequent umgesetzter, rationaler Instanzenzug entstanden sei, beruhe nicht
zuletzt darauf, dass solche Irregularien es dem Herrscher erlaubten, seine Allgegen-
wärtigkeit als Rechtswahrer unter Beweis zu stellen. Sowohl die symbolische
Dimension von Justiz als auch deren — an der Moderne gemessen — anderen Maß-
stäbe für Funktionsweise und Effektivität unterstrich auch Christian Wieland. Im
Bayern des 16. Jahrhunderts demonstrierten Adlige ihren Anspruch auf Unabhän-
gigkeit gegenüber dem Herzog, indem sie in Rechtssachen die Zuständigkeit der
Reichsgerichtsbarkeit für ihre Fälle beanspruchten. Statt als Motor von Staatlichkeit
erwies sich die Justiz insofern als Hindernis für den Ausbau von Zentralgewalt. Über-
haupt sei im Herzogtum Bayern, obwohl die Staatsbildung dort relativ früh und
intensiv eingesetzt habe, eine klare Monopolisierung landesherrlicher Justiz erst
gegen Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgreich etabliert worden. Das Gerichtswesen
habe alte adlige Aushandlungsmechanismen lange nicht ersetzt, sondern teils noch
zur Verstärkung von Konflikten geführt.
Raffaella Biundo (Alte Geschichte, Quebec) widmete sich in ihrem Vortrag
dem Problem der Autonomie der städtischen Gemeinwesen in der Spätantike; denn
wenn es für die Frühe Neuzeit sinnvoll ist, den Adel bzw. aristokratische Verbände als
die wichtigsten Opponenten der monarchischen Zentralgewalt zu begreifen, so
müssen für die Alte Welt die Städte als die entscheidenden Träger einer „Ideologie“
von Selbständigkeit gelten. Während sich durchaus Eingriffe der Zentrale in die poli-
tische Verfasstheit und die wirtschaftlichen Beziehungen von spätantiken Städten
nachweisen lassen, folgten doch erstens diese Maßnahmen immer einem ökonomi-
schen Kalkül, und zweitens stellten sie häufig Reaktionen auf direkte Anfragen der
städtischen Eliten selbst dar, die von einem politischen Austausch zwischen Zentrum
und Peripherie meist massiv profitierten. Auf den Aspekt des Widerstands gegen
Zentralisierungsversuche ging auch Paval Kral (Frühe Neuzeit, Budweis) ein. Er
schilderte, wie der zentralisierenden Politik der Habsburger in Böhmen adlige
Machtzentren entgegengestellt wurden, die sich um die lokalen Sitze des südböhmi-
schen Hochadels kristallisierten. Die Landsitze bildeten Gegenpole adliger Selbst-
bestimmung, wo Klientelsysteme gepflegt, Konfessionsunterschiede verteidigt und
Widerstand organisiert werden konnte. Die Verschmelzung und Überschneidung
von Familien- und Klientelstrukturen mit politischen und konfessionellen Interes-
sengruppen bildete dabei den Kern hochadliger Machtzentren.
Die dritte Sektion beschäftigte sich mit Religion und Konfession als Instru-
ment der Staatsgewalt. Am Beispiel des munizipalen Amtes des defensor civitatis
versuchte Sabine Hübner (Alte Geschichte, New York) zu zeigen, in welchem Maße
sich das politische Selbstverständnis und die Legitimation von Herrschaft ab dem
4. Jahrhundert auch auf lokaler Ebene mit christlichen Elementen durchsetze. Ute
Lotz-Heumann (Frühe Neuzeit, Berlin) wies anhand der komplexen ethnisch-reli-
giösen Gemengelage im Irland des 16. Jahrhunderts nach, dass Konfession bisweilen
gerade nicht als Instrument von Staatsbildung diente.Vielmehr trug sie hier als Fak-
tor von Ausgrenzung und Widerstand entgegen der ursprünglichen Erwartungen der
Beteiligten letztlich zum Misserfolg der Staatsbildung bei. Auch Claudia Tiersch
(Alte Geschichte, Dresden) beschäftigte die ebenso destabilisierende wie stabilisie-
FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
nie ein konsequent umgesetzter, rationaler Instanzenzug entstanden sei, beruhe nicht
zuletzt darauf, dass solche Irregularien es dem Herrscher erlaubten, seine Allgegen-
wärtigkeit als Rechtswahrer unter Beweis zu stellen. Sowohl die symbolische
Dimension von Justiz als auch deren — an der Moderne gemessen — anderen Maß-
stäbe für Funktionsweise und Effektivität unterstrich auch Christian Wieland. Im
Bayern des 16. Jahrhunderts demonstrierten Adlige ihren Anspruch auf Unabhän-
gigkeit gegenüber dem Herzog, indem sie in Rechtssachen die Zuständigkeit der
Reichsgerichtsbarkeit für ihre Fälle beanspruchten. Statt als Motor von Staatlichkeit
erwies sich die Justiz insofern als Hindernis für den Ausbau von Zentralgewalt. Über-
haupt sei im Herzogtum Bayern, obwohl die Staatsbildung dort relativ früh und
intensiv eingesetzt habe, eine klare Monopolisierung landesherrlicher Justiz erst
gegen Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgreich etabliert worden. Das Gerichtswesen
habe alte adlige Aushandlungsmechanismen lange nicht ersetzt, sondern teils noch
zur Verstärkung von Konflikten geführt.
Raffaella Biundo (Alte Geschichte, Quebec) widmete sich in ihrem Vortrag
dem Problem der Autonomie der städtischen Gemeinwesen in der Spätantike; denn
wenn es für die Frühe Neuzeit sinnvoll ist, den Adel bzw. aristokratische Verbände als
die wichtigsten Opponenten der monarchischen Zentralgewalt zu begreifen, so
müssen für die Alte Welt die Städte als die entscheidenden Träger einer „Ideologie“
von Selbständigkeit gelten. Während sich durchaus Eingriffe der Zentrale in die poli-
tische Verfasstheit und die wirtschaftlichen Beziehungen von spätantiken Städten
nachweisen lassen, folgten doch erstens diese Maßnahmen immer einem ökonomi-
schen Kalkül, und zweitens stellten sie häufig Reaktionen auf direkte Anfragen der
städtischen Eliten selbst dar, die von einem politischen Austausch zwischen Zentrum
und Peripherie meist massiv profitierten. Auf den Aspekt des Widerstands gegen
Zentralisierungsversuche ging auch Paval Kral (Frühe Neuzeit, Budweis) ein. Er
schilderte, wie der zentralisierenden Politik der Habsburger in Böhmen adlige
Machtzentren entgegengestellt wurden, die sich um die lokalen Sitze des südböhmi-
schen Hochadels kristallisierten. Die Landsitze bildeten Gegenpole adliger Selbst-
bestimmung, wo Klientelsysteme gepflegt, Konfessionsunterschiede verteidigt und
Widerstand organisiert werden konnte. Die Verschmelzung und Überschneidung
von Familien- und Klientelstrukturen mit politischen und konfessionellen Interes-
sengruppen bildete dabei den Kern hochadliger Machtzentren.
Die dritte Sektion beschäftigte sich mit Religion und Konfession als Instru-
ment der Staatsgewalt. Am Beispiel des munizipalen Amtes des defensor civitatis
versuchte Sabine Hübner (Alte Geschichte, New York) zu zeigen, in welchem Maße
sich das politische Selbstverständnis und die Legitimation von Herrschaft ab dem
4. Jahrhundert auch auf lokaler Ebene mit christlichen Elementen durchsetze. Ute
Lotz-Heumann (Frühe Neuzeit, Berlin) wies anhand der komplexen ethnisch-reli-
giösen Gemengelage im Irland des 16. Jahrhunderts nach, dass Konfession bisweilen
gerade nicht als Instrument von Staatsbildung diente.Vielmehr trug sie hier als Fak-
tor von Ausgrenzung und Widerstand entgegen der ursprünglichen Erwartungen der
Beteiligten letztlich zum Misserfolg der Staatsbildung bei. Auch Claudia Tiersch
(Alte Geschichte, Dresden) beschäftigte die ebenso destabilisierende wie stabilisie-