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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Zentenarfeier am 3. und 4. Juli 2009
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Festakt am 4. Juli 2009
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Markl, Hubert: Akademische Wissenschaft und wirtschaftlicher Erfolg: Forschung im Zangengriff vielfältiger Interessen
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0054
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4. Juli 2009

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Viertens - und vielleicht am Allerwichtigsten — muss Wissenschaft alle Diszi-
plinen erfassen, erhalten, pflegen und fortentwickeln, nur so ist sie der Allgemeinheit
am nützlichsten; nicht wenige Disziplinen für einige Interessen (seien diese privat-
wirtschaftlich, religiös oder politisch). Wissenschaft ist entweder Ausdruck unserer
ganzen Menschlichkeit als Kulturwesen, oder sie ist nur eine Dienstmagd für einen
Bedarf auf Zeit. „Die Wissenschaft soll die Freundin der Praxis sein, nicht ihre Skla-
vin“ sagte Carl Friedrich Gauss. Deshalb erschreckt es mich, wenn ich höre: „Das
brauchen wir nicht“. Woher will einer denn das wissen, frage ich mich da?
Sicher, schlechte Wissenschaft benötigt keine Gesellschaft und in keiner Diszi-
plin: aber sorgen wir für Qualität und zwar auch dort, wo sie zeitweise scheinbar
nicht gebraucht wird, und erhalten wir diese. Deshalb muss es sich erst erweisen, ob
es wirklich eine so gute Idee ist, Hochschulen vorwiegend als Wirtschaftsunterneh-
men zu betrachten und sie weitgehend dem Rat eines Senior Expert Service ehe-
maliger Dax-Vorstände — nicht einmal nur für Forschung — auszuliefern, und dies
auch noch mit der größerer Selbständigkeit solcher Hochschulen zu begründen:
Manche dieser Persönlichkeiten sollen nach ihrem Studium (wohlgemerkt oft an
„unfähigen“ Universitäten, um dann doch noch höchst fähige Unternehmer zu wer-
den!) Hörsäle nur noch mit den Powerpoint-Präsentationen betreten haben, die ihre
Assistenten dafür vorbereitet hatten, und das Weiße im Auge der Studenten vor allem
dann gesehen haben, wenn diese verzweifelnd die Augen rollten! Es gibt einem
schon zu denken, dass heute Frauen und Männer die Hochschulen beraten sollen —
natürlich immer, damit diese endlich besser werden —, welche zum Beispiel die Wirt-
schaftskrise sehenden Auges erst durch ihr riskantes Spiel mit hervorgerufen und,
nachdem diese dann wie ein Tsunami über alle hereinbrach, die Krise nachher
immer schon vorhergesehen hatten, wie das manche — auch akademische — Finanz-
Experten eben zu tun pflegen. Die von Privatisierung der Gewinne schwärmen —
auch von Hochschulen -, aber die Verluste eilends allen Steuerzahlern („Staat“
geheißen) anlasten wollen. Dies ist in der Tat beeindruckend und vertrauener-
weckend! Da freuen sich dann jene, die gar keine Steuern zahlen: sie haben nämlich
auch nichts zu verlieren, außer ihre Arbeitsplätze (vielleicht sogar , wenn sie denn
richtig wählen, 300? zu gewinnen). Manche nennen es ja nicht etwa Sozialstaat -
eine weitere Errungenschaft unsrer Kultur —, wenn unverschuldet in Not geratene
Menschen Hilfe benötigen, die ihnen in der Tat von der Gemeinschaft gerne
gewährt werden sollte, sondern wenn sie genießen, was andere für sie erarbeitet
haben: Teamwork sozusagen: Toll, ein Anderer macht es! Biologen nennen dies bei
Ameisen auch Sozialschmarotzertum. Aber wir sind Kulturwesen, da heißt dies wohl
Altruismus und moral hazard. Dabei haben es uns die praktischen Amerikaner immer
schon gesagt: „Ifyou need a helping hand, look first at the end ofiyour arm!“ Aber bei uns
heißt es wohl eher: Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir Gott — und im Lande Hegels ist
Gott dann eben doch der „Staat“. Aber der Staat ist wie Prokrustes: er zerrt und
hackt alles auf eine Einheitslänge zurecht, was vorsteht, muß eben gleich gemacht
werden. Ob dann der Freiherr aus Franken, der gern den Theseus mimt, der Pro-
krustes ja erschlagen haben soll, dem Staate wirklich ordnungspolitische Grenzen
setzen darf, wird sich noch erweisen: bisher war er nur immer lautstark dagegen, hat
 
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