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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0050
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46 | 2. Analyse des Forschungsstands
se gekennzeichnet und grenzten sich durch eben diese von ihrer Umwelt deutlich
ab - sie besaßen somit eine kollektive Identität.142 Abgrenzung und Kennzeichnung
fanden aber nicht nur gegenüber der Welt statt, sondern auch gegenüber anderen
Gemeinschaften, so dass sich jedes Kloster eine ganz eigene kollektive Identität gab.
Während der Begriff der klösterlichen Identität meist darauf reduziert wird,
Klöster als aus ihrer Umwelt herausgelöste »heilige Orte« zu betrachten, spricht
sich Christofer Zwanzig für einen offeneren Identitätsbegriff aus: Am Beispiel von
Fundationserinnerungen konnte er zeigen, dass das Selbstbild der Gemeinschaft
und ihre Außenwahrnehmung eng miteinander verwoben waren und somit auch
ihr weltliches Umfeld durchaus Anteil an der klösterlichen Identität hatte.143 Auch
Walter Pohl konnte am Beispiel des Montecassino zeigen, dass dessen Historiogra-
phie Träger monastischer, politischer und ethnischer Identität war.144
Identität ist letztlich mit der Frage nach dem »wer sind wir?« verknüpft, eine
Frage, die sich Gemeinschaften aber vermehrt in Zeiten der Krise stellten.145 Carla
Meyer und Christoph Dartmann haben sich in diesen Zusammenhang intensiver
mit dem Identitätsbegriff auseinandergesetzt:146 Sie verstehen Identität weniger im
Sinne von Essenz als vielmehr im Sinne von Diskurs.147 Identität ist somit nichts
Gegebenes, was immer schon da war und die Zeit überdauert, sondern muss immer
wieder neu konstruiert und definiert werden - und dies umso mehr in Zeiten von
Krisen.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der klösterlichen
Textproduktion zu.148 Mit dem linguistic turn rückten der Text selbst, seine Über-
lieferung und sein Entstehungskontext in den Mittelpunkt des Interesses.149 Bereits
Jörg Kastner sprach sich dagegen aus, Fundationserzählungen von Klöstern als
»Steinbruch für die Faktengeschichte« zu missbrauchen und erkannte ihren prag-
matischen aber auch ihren ideellen Wert für die Gemeinschaften.150 Historiogra-
142 Vgl. dazu M. Schürer, Das »propositum«, S. 103-108.
143 Ch. Zwanzig, Gründungsmythen, S. 26.
144 W. Pohl, Werkstätte der Erinnerung, S. 162-179; darüber hinaus Ders., Spuren, Texte, Identitäten.
145 Zur Frage nach Identität in Zeiten der Krise sei lediglich verwiesen auf K. Mercer, Welcome to the Jun-
gle, S. 43; grundlegend K. Abels, Identität. Über die Entstehung des Gedankens. Weitere Literatur findet
sich bei C. Meyer, Ch. Dartmann, Einleitung.
146 C. Meyer, Ch. Dartmann, Einleitung, S. 9-22.
147 C. Meyer, Ch. Dartmann, Einleitung, S. 15-17.
148 Das geschrieben Wort ist aber nur einer von vielen Trägern von Identität; vgl. dazu auch Ch. Zwanzig,
Gründungsmythen, S. 34-35.
149 Konzise Überblicke bieten H. W. Goetz, Moderne Mediävistik, S. 115-117, 166-173 und G. G. Iggers,
Geschichtswissenschaft, S. 87-90. In Deutschland ist der linguistic turn vor allem eng mit dem Münste-
raner SFB »Pragmatische Schriftlichkeit« verbunden. Vgl. dazu beispielsweise H. Keller, K. Grubmüller,
N. Staubach (Hgg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Zur causa scribendi vgl. G. Althoff,
Causa scribendi; zur mittelalterlichen Historiographie H. W. Goetz, Geschichtsschreibung.
150 J. Kastner, Historiae fundationum, S. 7.
 
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