2. Analyse des Forschungsstands | 61
alters befunden.246 Massen von Menschen beider Geschlechter hätten ein monas-
tisches Leben gewählt, so dass man ihrer nur habhaft werden konnte, indem man
sie in sehr alten Klöstern unterbrachte und sogar neue gründete.247 »So geschah es,
dass man in den Dörfern, den Marktflecken, den Städten, den befestigten Orten
und bis in die Wälder und Felder Scharen von Mönchen sah, die sich unaufhörlich
in alle Richtungen ausbreiteten [,..].«248 Bei diesen conversi habe es sich zudem um
Menschen jeder Altersstufe, jeden Bildungsstandes und jeder sozialen Herkunft
gehandelt.249
Für die Zeit des frühen 12. Jahrhunderts ist dieser Bericht kein Einzelfall.250
Derartige Nachrichten lassen vor allem die Zeit um 1100 als eine Zeit des religiösen
Aufbruchs erscheinen, in der sich die Menschen verstärkt für die vita religiosa be-
geisterten.251 Dieses Phänomen tritt vor allem in zwei Erscheinungsformen zu Tage:
zum einen in der Zunahme der Klostereintritte und zum anderen im sogenannten
»neuen Eremitentum«.252
Ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts nahm die Zahl der Klostereintritte
in bestehende Klöster beträchtlich zu. Die einst von Leclercq und Norman Can-
tor vertretene These der »Krise des Zönobitentums«, wonach die »traditionellen«
benediktinischen Gemeinschaften zunehmend Rekrutierungsschwierigkeiten hat-
246 Guibert, Autobiographie, I, c. 11, S. 72: »Hae, inquam, personae conversionum tune temporis extulere
primordia.«
247 Ebd.: »His cohaesere continuo virorum feminarumque greges; omnis protinus ordo concurrit. [...] Cum
ergo nusquam nisi in vetutissimis monasteriis monachorum haberetur aliquorum sedes, coeperunt ubi-
que loci nova construi, et undecumque confluentibus magni alimentorum redditus adhiberi. Quibus fa-
cultas non aderat, ut grandiuscula fabricarent, alii binis, alii quaternis, alii quot poterant alendis fratribus
domo sac victualia componebant.«
248 Ebd.: »Unde factum est, ut in villis, oppidis, urbibus atque praesidiis, imo etiam ipsis saltibus atque agris,
monachorum quaquaversum sese exercendo dilatantium repente fervere viderentur examina [...].«
249 Ebd.: »[...] ut major in imbecillibus tenerisque corporibus inveniretur fidei vivacitas, quam in illis, in
quibus grandaevitatis ac scientiae floreret auctoritas.«
250 Petrus Venerabilis schreibt in ep. 47 (Peter the Venerable, Letters, I, S. 145) an seinen Freund Matthäus
von Albano: »O quam innumerabilis monachorum turba per supernam gratiam nostris maxime diebus
multiplicata, Universa pene gallica rura operuit, urbes, castella, oppida, implevit, quam varius vestibus,
institutis, domini Sabaoth exercitus, sub una fide et caritate in eiusdem monastici nominis sacramenta
iuravit.«
251 Die Forschung hat sich mit dem Phänomen des religiösen Aufbruchs um 1100 in seinen unterschie-
dichsten Ausprägungen in unzähligen Einzelstudien beschäftigt. Eine äußerst solide und bislang durch
keine andere Arbeit ersetzte Darstellung dieser Zeit und dieses Phänomens bietet G. Constable, The
Reformation; etwas allgemeiner zum 12. Jahrhundert als Zeit der Wende vgl. R. L. Benson, G. Consta-
ble, C. D. Lanham (Hgg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century.
252 Die Literatur zum »Neuen Eremitentum« ist äußerst umfangreich, weswegen hier nur eine kleine Aus-
wahl geboten werden kann: Grundlegend ist weiterhin der etwas ältere Sammelband L’eremitismo in
occidente; H. Leyser, Hermits and the New Monasticism; G. Penco, L’eremitismo irregolare; L. Milis,
Ermites et chanoines; G. Constable, The Reformation; Ders., Eremitcal Forms; D. Baker, The Whole
World; G. G. Merlo, Le riforme monastiche; mit Blick auf das regulierte Eremitentum C. Caby, Finis
eremitarum?
alters befunden.246 Massen von Menschen beider Geschlechter hätten ein monas-
tisches Leben gewählt, so dass man ihrer nur habhaft werden konnte, indem man
sie in sehr alten Klöstern unterbrachte und sogar neue gründete.247 »So geschah es,
dass man in den Dörfern, den Marktflecken, den Städten, den befestigten Orten
und bis in die Wälder und Felder Scharen von Mönchen sah, die sich unaufhörlich
in alle Richtungen ausbreiteten [,..].«248 Bei diesen conversi habe es sich zudem um
Menschen jeder Altersstufe, jeden Bildungsstandes und jeder sozialen Herkunft
gehandelt.249
Für die Zeit des frühen 12. Jahrhunderts ist dieser Bericht kein Einzelfall.250
Derartige Nachrichten lassen vor allem die Zeit um 1100 als eine Zeit des religiösen
Aufbruchs erscheinen, in der sich die Menschen verstärkt für die vita religiosa be-
geisterten.251 Dieses Phänomen tritt vor allem in zwei Erscheinungsformen zu Tage:
zum einen in der Zunahme der Klostereintritte und zum anderen im sogenannten
»neuen Eremitentum«.252
Ab der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts nahm die Zahl der Klostereintritte
in bestehende Klöster beträchtlich zu. Die einst von Leclercq und Norman Can-
tor vertretene These der »Krise des Zönobitentums«, wonach die »traditionellen«
benediktinischen Gemeinschaften zunehmend Rekrutierungsschwierigkeiten hat-
246 Guibert, Autobiographie, I, c. 11, S. 72: »Hae, inquam, personae conversionum tune temporis extulere
primordia.«
247 Ebd.: »His cohaesere continuo virorum feminarumque greges; omnis protinus ordo concurrit. [...] Cum
ergo nusquam nisi in vetutissimis monasteriis monachorum haberetur aliquorum sedes, coeperunt ubi-
que loci nova construi, et undecumque confluentibus magni alimentorum redditus adhiberi. Quibus fa-
cultas non aderat, ut grandiuscula fabricarent, alii binis, alii quaternis, alii quot poterant alendis fratribus
domo sac victualia componebant.«
248 Ebd.: »Unde factum est, ut in villis, oppidis, urbibus atque praesidiis, imo etiam ipsis saltibus atque agris,
monachorum quaquaversum sese exercendo dilatantium repente fervere viderentur examina [...].«
249 Ebd.: »[...] ut major in imbecillibus tenerisque corporibus inveniretur fidei vivacitas, quam in illis, in
quibus grandaevitatis ac scientiae floreret auctoritas.«
250 Petrus Venerabilis schreibt in ep. 47 (Peter the Venerable, Letters, I, S. 145) an seinen Freund Matthäus
von Albano: »O quam innumerabilis monachorum turba per supernam gratiam nostris maxime diebus
multiplicata, Universa pene gallica rura operuit, urbes, castella, oppida, implevit, quam varius vestibus,
institutis, domini Sabaoth exercitus, sub una fide et caritate in eiusdem monastici nominis sacramenta
iuravit.«
251 Die Forschung hat sich mit dem Phänomen des religiösen Aufbruchs um 1100 in seinen unterschie-
dichsten Ausprägungen in unzähligen Einzelstudien beschäftigt. Eine äußerst solide und bislang durch
keine andere Arbeit ersetzte Darstellung dieser Zeit und dieses Phänomens bietet G. Constable, The
Reformation; etwas allgemeiner zum 12. Jahrhundert als Zeit der Wende vgl. R. L. Benson, G. Consta-
ble, C. D. Lanham (Hgg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century.
252 Die Literatur zum »Neuen Eremitentum« ist äußerst umfangreich, weswegen hier nur eine kleine Aus-
wahl geboten werden kann: Grundlegend ist weiterhin der etwas ältere Sammelband L’eremitismo in
occidente; H. Leyser, Hermits and the New Monasticism; G. Penco, L’eremitismo irregolare; L. Milis,
Ermites et chanoines; G. Constable, The Reformation; Ders., Eremitcal Forms; D. Baker, The Whole
World; G. G. Merlo, Le riforme monastiche; mit Blick auf das regulierte Eremitentum C. Caby, Finis
eremitarum?