94 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
der elevatio der Gebeine fernblieb.392 Auch wenn Bovo eine mehr oder weniger
erfolgreiche Politik betrieb, um den Klosterbesitz zurückzugewinnen und zu be-
wahren, hielt die Krise der Gemeinschaft an, was sich unter anderem darin wider-
spiegelt, dass zahlreiche Mönche, wie der berühmte Goscelin von Saint-Bertin, die
Abtei verließen und nach England gingen.393
Die Krise der Abtei zeigte sich nach Vanderputten aber auch in den Bezie-
hungen zu anderen Klöstern der Grafschaft. Das unter Abt Rodericus in eine
Mönchsgemeinschaft umgewandelte Stift von Bergues-Saint-Winnoc, das in einem
sehr engen, nahezu abhängigen Verhältnis zu Sithiu stand, konnte sich im Lauf des
11. Jahrhunderts zusehends von der Bindung an Saint-Bertin lösen, um letztlich ein
ernst zunehmender Rivale zu werden.394 Als 1072 nun in der benachbarten Graf-
schaft von Hesdin das Kloster von Auchy-les-Moines mit der Hilfe Abt Heriberts
von Saint-Bertin neu gegründet worden war, waren die Mönche von Sithiu be-
sonders darauf bedacht, diese Gemeinschaft eng an die ihre zu binden und diese
Abhängigkeit zu sichern.395
Unter Abt Heribert (1065-1081) sollte die Gemeinschaft von Sithiu schließlich
wieder an Bedeutung gewinnen. Dies wird besonders am Wiederaufbau und der
Ausstattung der Klosterkirche deutlich.396 Kurz vor ihrer Fertigstellung sollte das
Gotteshaus unter Abt Johannes I. erneut niederbrennen und konnte daher erst un-
ter Abt Lambert 1106 geweiht werden.397 Der Gemeinschaft sollten also über Jahr-
zehnte hinweg weder eine intakte Klosterkirche noch bewohnbare Klostergebäude
392 Zur inventio und elevatio der Bertinusreliquien vgl. Bovo, Relatio de inventione et elevatione sancti
Bertini; K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 72-88. Der Graf ließ sich bei der elevatio von seiner
Frau vertreten, vgl. dazu ebd., S. 87; S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 274. Simon, Gesta, I, c. 14,
S. 639 berichtet zudem, dass Bovo Reliquien des heiligen Dionysius nach Saint-Bertin gebracht habe
und sie neben jene des heiligen Bertinus legen ließ, was darauf hindeutet, dass er den womöglich zum
Erliegen gekommenen Heiligenkult in Saint-Bertin bewusst fördern wollte.
393 Zu Bovos Politik vgl. Simon, Gesta, I, c. 13, S. 638-639; S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 274-
275 interpretiert den Weggang der Mönche als deutliches Zeichen der Krise und nicht, wie es die ältere
Forschung tat, als Zeichen einer besonderen Blüte der Abtei; zu Goscelin von Saint-Bertin und seinem
hagiographischen Werk wurden zahlreiche Studien verfasst. Zu seiner Person sei lediglich verwiesen auf
P. A. Hayward, Artikel »Goscelin of Saint-Bertin«; zu seinen Liber confortatorius vgl. den Sammelband
von M. Otter (Hg.), Goscelin of St.-Bertin: the Book of Encouragement; zu seinen hagiographischen
Werken zu den Heiligen von Ely vgl. C. R. Love (Hg.), Goscelin of Saint-Bertin: the Hagiography.
394 1068 wählten die Mönche von Bergues erstmals einen Mönch aus ihren Reihen zum Abt, vgl. dazu
S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 276; Ders., Monastic Reform as Process, S. 118-121.
395 Ausdruck dessen waren unter anderem die Reliquien des heiligen Silvanus, die seit dem 10. Jahrhundert
in Sithiu lagen. S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism.
396 Simon, Gesta, I, c. 18, S. 640.
397 Simon, Gesta, I, c. 26, S. 642; zur Weihe der Kirche durch Johannes von Therouanne vgl. ebd., c. 82,
S. 651.
der elevatio der Gebeine fernblieb.392 Auch wenn Bovo eine mehr oder weniger
erfolgreiche Politik betrieb, um den Klosterbesitz zurückzugewinnen und zu be-
wahren, hielt die Krise der Gemeinschaft an, was sich unter anderem darin wider-
spiegelt, dass zahlreiche Mönche, wie der berühmte Goscelin von Saint-Bertin, die
Abtei verließen und nach England gingen.393
Die Krise der Abtei zeigte sich nach Vanderputten aber auch in den Bezie-
hungen zu anderen Klöstern der Grafschaft. Das unter Abt Rodericus in eine
Mönchsgemeinschaft umgewandelte Stift von Bergues-Saint-Winnoc, das in einem
sehr engen, nahezu abhängigen Verhältnis zu Sithiu stand, konnte sich im Lauf des
11. Jahrhunderts zusehends von der Bindung an Saint-Bertin lösen, um letztlich ein
ernst zunehmender Rivale zu werden.394 Als 1072 nun in der benachbarten Graf-
schaft von Hesdin das Kloster von Auchy-les-Moines mit der Hilfe Abt Heriberts
von Saint-Bertin neu gegründet worden war, waren die Mönche von Sithiu be-
sonders darauf bedacht, diese Gemeinschaft eng an die ihre zu binden und diese
Abhängigkeit zu sichern.395
Unter Abt Heribert (1065-1081) sollte die Gemeinschaft von Sithiu schließlich
wieder an Bedeutung gewinnen. Dies wird besonders am Wiederaufbau und der
Ausstattung der Klosterkirche deutlich.396 Kurz vor ihrer Fertigstellung sollte das
Gotteshaus unter Abt Johannes I. erneut niederbrennen und konnte daher erst un-
ter Abt Lambert 1106 geweiht werden.397 Der Gemeinschaft sollten also über Jahr-
zehnte hinweg weder eine intakte Klosterkirche noch bewohnbare Klostergebäude
392 Zur inventio und elevatio der Bertinusreliquien vgl. Bovo, Relatio de inventione et elevatione sancti
Bertini; K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 72-88. Der Graf ließ sich bei der elevatio von seiner
Frau vertreten, vgl. dazu ebd., S. 87; S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 274. Simon, Gesta, I, c. 14,
S. 639 berichtet zudem, dass Bovo Reliquien des heiligen Dionysius nach Saint-Bertin gebracht habe
und sie neben jene des heiligen Bertinus legen ließ, was darauf hindeutet, dass er den womöglich zum
Erliegen gekommenen Heiligenkult in Saint-Bertin bewusst fördern wollte.
393 Zu Bovos Politik vgl. Simon, Gesta, I, c. 13, S. 638-639; S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 274-
275 interpretiert den Weggang der Mönche als deutliches Zeichen der Krise und nicht, wie es die ältere
Forschung tat, als Zeichen einer besonderen Blüte der Abtei; zu Goscelin von Saint-Bertin und seinem
hagiographischen Werk wurden zahlreiche Studien verfasst. Zu seiner Person sei lediglich verwiesen auf
P. A. Hayward, Artikel »Goscelin of Saint-Bertin«; zu seinen Liber confortatorius vgl. den Sammelband
von M. Otter (Hg.), Goscelin of St.-Bertin: the Book of Encouragement; zu seinen hagiographischen
Werken zu den Heiligen von Ely vgl. C. R. Love (Hg.), Goscelin of Saint-Bertin: the Hagiography.
394 1068 wählten die Mönche von Bergues erstmals einen Mönch aus ihren Reihen zum Abt, vgl. dazu
S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 276; Ders., Monastic Reform as Process, S. 118-121.
395 Ausdruck dessen waren unter anderem die Reliquien des heiligen Silvanus, die seit dem 10. Jahrhundert
in Sithiu lagen. S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism.
396 Simon, Gesta, I, c. 18, S. 640.
397 Simon, Gesta, I, c. 26, S. 642; zur Weihe der Kirche durch Johannes von Therouanne vgl. ebd., c. 82,
S. 651.