100 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
auch aus einem an Lambert adressierten Brief ersichtlich, in dem Anselm seinem
Freund, der kurz zuvor für das Amt des Erzbischofs von Reims vorgeschlagen
worden war, beratend zur Seite stand.427
Da Anselm ein glühender Verfechter der Liberias ecclesie und ein großer För-
derer Clunys war, nahmen Sproemberg und Sabbe an, dass Lamberts Idee, sich an
Cluny zu wenden, im Wesentlichen auf den Erzbischof von Canterbury zurück-
zuführen sei.428 Diese Annahme wurde zudem dadurch bestärkt, dass die Einfüh-
rung der cluniazensischen Lebensweise in Klöstern der benachbarten Grafschaft
Boulogne zu großen Teilen auf den Einfluss Anselms zurückzuführen sei.429 1099
begegneten sich Anselm und Lambert erneut, diesmal aber in Rom, wo über die
umstrittene Wahl des Johannes von Therouanne beraten wurde.430 Da von diesem
Zeitpunkt an die Bestrebungen einer correctio Saint-Bertins fassbar werden, ging
Sproemberg davon aus, dass Anselm bei dieser Gelegenheit nochmals Einfluss auf
den Abt von Sithiu ausgeübt habe.431
Der Bericht Simons spricht die Initiative zur correctio allerdings Lambert selbst
zu und führt dessen Entschluss auf eine ganz persönliche Erfahrung zurück. Kurz
vor Weihnachten des Jahres 1101 sei dieser nämlich schwer erkrankt. In der Nacht
zum vierten Adventssonntag sei er dennoch vor die im Kapitelsaal versammelte Ge-
meinschaft der Mönche getreten und habe begonnen eine glühende Rede zu halten.
Er sprach über die Freuden des Paradieses und die Strafen der Hölle und forderte
die Mönche auf, ihr verweltlichtes Leben abzulegen und ein tugendhaftes monas-
tisches Leben zu führen. Lambert habe sich dabei derart verausgabt, dass er einen
Schwächeanfall erlitt und man um sein Leben bangte. Die Mönche zeigten sich
von der Rede ihres Abtes wenig beeindruckt und lehnten jede Veränderung ab.432
Lambert wurde jedoch durch seine schwere Krankheit, von der er genas, in seinem
Positi in invicem sancti viri pariter et totius orbis iudicio eruditi loquebantur de caelestibus, spiritualia
spiritualibus colloquiis disserentes.«
427 Anselm von Canterbury, Opera, Bd. 5, ep. 421, S. 366: »Charissimo amico suo reverendo abbati Sancti
Bertini [...].«
428 H. Sproemberg, Alvisus, S. 68-77; E. Sabbe, La reforme clunisienne, S. 124-125. Zu Anselm und der
Liberias ecclesiae sei verwiesen auf M. J. Bruno, The investiture contest in Norman England, S. 119 —
137, 307-324. Die Rolle von Le Bec als Verbreiter der cluniazensischen Lebensweise wurde inzwischen
von G. Constable, B. S. Smith (Hgg.), Three treatises front Bec, S. 16 bestritten.
429 Zur Grafschaft Boulogne vgl. H. Sproemberg, Alvisus, S. 51-68, S. 51: »Das Einfallstor nach Plandern
für die Reformbewegung von Bec ist die Grafschaft Boulogne gewesen.«
430 Simon, Gesta, II, c. 57, S. 647: »Abbates itaque causam suam in curia explicantes, citius sunt auditi et
exauditi, quia litteris prefatae comitissae roborati [...] domnique Anselmi archipresulis Cantuariensis,
viri per cuncta laudabilis [...] auxilio confortati [...].«
431 H. Sproemberg, Alvisus, S. 75 -76. Sproemberg hat versucht herauszufinden, woher die Idee der Reform
nach cluniazensischem Vorbild kam, da sie mit der bisherigen Kirchenpolitik der Grafen brach.
432 Simon, Gesta, II, c. 62, S. 648: »Anno igitur dominicae incarnationis 1101. gravi correptus infirmitate,
nocte quartae dominicae adventus Domini capitulum fratrum intravit ac, prolixo sermone habito de
regno Dei, de poenis inferni, se in fine sermonis graviter infirmari et de vita pereclitari asseruit. [...] Ad
auch aus einem an Lambert adressierten Brief ersichtlich, in dem Anselm seinem
Freund, der kurz zuvor für das Amt des Erzbischofs von Reims vorgeschlagen
worden war, beratend zur Seite stand.427
Da Anselm ein glühender Verfechter der Liberias ecclesie und ein großer För-
derer Clunys war, nahmen Sproemberg und Sabbe an, dass Lamberts Idee, sich an
Cluny zu wenden, im Wesentlichen auf den Erzbischof von Canterbury zurück-
zuführen sei.428 Diese Annahme wurde zudem dadurch bestärkt, dass die Einfüh-
rung der cluniazensischen Lebensweise in Klöstern der benachbarten Grafschaft
Boulogne zu großen Teilen auf den Einfluss Anselms zurückzuführen sei.429 1099
begegneten sich Anselm und Lambert erneut, diesmal aber in Rom, wo über die
umstrittene Wahl des Johannes von Therouanne beraten wurde.430 Da von diesem
Zeitpunkt an die Bestrebungen einer correctio Saint-Bertins fassbar werden, ging
Sproemberg davon aus, dass Anselm bei dieser Gelegenheit nochmals Einfluss auf
den Abt von Sithiu ausgeübt habe.431
Der Bericht Simons spricht die Initiative zur correctio allerdings Lambert selbst
zu und führt dessen Entschluss auf eine ganz persönliche Erfahrung zurück. Kurz
vor Weihnachten des Jahres 1101 sei dieser nämlich schwer erkrankt. In der Nacht
zum vierten Adventssonntag sei er dennoch vor die im Kapitelsaal versammelte Ge-
meinschaft der Mönche getreten und habe begonnen eine glühende Rede zu halten.
Er sprach über die Freuden des Paradieses und die Strafen der Hölle und forderte
die Mönche auf, ihr verweltlichtes Leben abzulegen und ein tugendhaftes monas-
tisches Leben zu führen. Lambert habe sich dabei derart verausgabt, dass er einen
Schwächeanfall erlitt und man um sein Leben bangte. Die Mönche zeigten sich
von der Rede ihres Abtes wenig beeindruckt und lehnten jede Veränderung ab.432
Lambert wurde jedoch durch seine schwere Krankheit, von der er genas, in seinem
Positi in invicem sancti viri pariter et totius orbis iudicio eruditi loquebantur de caelestibus, spiritualia
spiritualibus colloquiis disserentes.«
427 Anselm von Canterbury, Opera, Bd. 5, ep. 421, S. 366: »Charissimo amico suo reverendo abbati Sancti
Bertini [...].«
428 H. Sproemberg, Alvisus, S. 68-77; E. Sabbe, La reforme clunisienne, S. 124-125. Zu Anselm und der
Liberias ecclesiae sei verwiesen auf M. J. Bruno, The investiture contest in Norman England, S. 119 —
137, 307-324. Die Rolle von Le Bec als Verbreiter der cluniazensischen Lebensweise wurde inzwischen
von G. Constable, B. S. Smith (Hgg.), Three treatises front Bec, S. 16 bestritten.
429 Zur Grafschaft Boulogne vgl. H. Sproemberg, Alvisus, S. 51-68, S. 51: »Das Einfallstor nach Plandern
für die Reformbewegung von Bec ist die Grafschaft Boulogne gewesen.«
430 Simon, Gesta, II, c. 57, S. 647: »Abbates itaque causam suam in curia explicantes, citius sunt auditi et
exauditi, quia litteris prefatae comitissae roborati [...] domnique Anselmi archipresulis Cantuariensis,
viri per cuncta laudabilis [...] auxilio confortati [...].«
431 H. Sproemberg, Alvisus, S. 75 -76. Sproemberg hat versucht herauszufinden, woher die Idee der Reform
nach cluniazensischem Vorbild kam, da sie mit der bisherigen Kirchenpolitik der Grafen brach.
432 Simon, Gesta, II, c. 62, S. 648: »Anno igitur dominicae incarnationis 1101. gravi correptus infirmitate,
nocte quartae dominicae adventus Domini capitulum fratrum intravit ac, prolixo sermone habito de
regno Dei, de poenis inferni, se in fine sermonis graviter infirmari et de vita pereclitari asseruit. [...] Ad