140 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
Fußwaschung der Brüder - an bestimmten Feiertagen ein, auf die iwvenes, auf die
Vigilien der Heiligenfeste und auf den Kirchenschmuck.605
Besonders interessant an diesem Schreiben sind die durchaus kritischen Töne
aus Cluny bezüglich des mandatum. So heißt es: »Warum verändert ihr die alten
Gewohnheiten nach unserem Vorbild, ohne dass es notwendig wäre? Wir tun dies
nämlich mehr aus Notwendigkeit denn aus Gewohnheit [...].«606 Die Cluniazen-
ser spielen hier auf die Vorverlegung des mandatum an und ebenso auf den zwi-
schen Anfang Oktober und dem Martinsfest gewährten Trank zur Non.607 Unter
Abt Odilo und Hugo von Cluny sei die samstägliche Fußwaschung der Brüder
angesichts der steigenden Konventsstärke und der liturgischen Verpflichtungen an
bestimmten Festtagen aus der Notwendigkeit heraus vorverschoben worden.608
Anders verhalte es sich aberin kleineren Häusern, denn dort habe man genügend
Zeit, um die antiquas consuetudines aus Cluny zu befolgen.609 Nach Tutsch zeigt
dieses Beispiel, »daß über Nachfragen zu den Consuetudines offensichtlich schon
begonnene oder beabsichtigte Umsetzungen der cluniazensischen Gewohnheiten in
Cluny bekannt wurden [...].«
Das hier vorgestellte Schreiben muss somit aus der Anfangszeit der correctio
Saint-Bertins stammen und bietet interessante Einblicke in den Umgang dieser Ge-
meinschaft mit den Consuetudines. Während Simon in seinen Gesta davon berich-
tet, dass Abt Lambert den ordo cluniacensis in Cluny selbst erlernt habe und in der
Folge Cluniazenser nach Sithiu gekommen seien,610 macht das in die Handschrift
inserierte Schreiben deutlich, dass man sich in Sithiu nicht ganz auf das docere ver-
bo et exemplo verlassen hat.611 Vielmehr hat es den Anschein, als habe man sich
zumindest in der ersten Zeit sehr stark am geschriebenen Wort orientiert und bei
605 Vgl. dazu B. Tutsch, Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 81 und Anm. 9.
606 B. Tutsch, Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 87: »Sed quid ad vos? Cur antiquas consue-
tudines exemplo nostro convellitis sine aliqua necessitate. Nos enim hec agimus necessitate potius quam
consuetudine [...]. Sed cur hec vos quibus nonnumquam dies usque ad fastidium habundatur.«
607 Zum monastischen Ritual der Fußwaschung vgl. allgemein J. Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zei-
chenhaften, S. 335-369; Ders., Die Samstagsfußwaschung. Zum mandatum in Cluny v.a. ebd., S. 262-
265. Nach der Fußwaschung folgte die collatio, die auch als caritas bezeichnet wurde und mit einem
gemeinsamen Trunk von Wein einherging. Dazu vgl. Ders., Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften,
S. 327-334; Ders., On the Way to Heaven, S. 31-36.
608 Vgl. dazu auch Bernhard, Ordo Cluniacensis, II, 24, S. 332. Dieser Hinweis findet sich auch bei Ulrich,
Consuetudines, I, 14, S. 664B; falls ein Hochfest auf den Samstag oder Sonntag fiel, wurde das manda-
tum auf den vorherigen Donnerstag vorverlegt. Bei den Festen handelte es sich seit Odilo um Weihnach-
ten, Pfingsten, Peter und Paul und Mariä Himmelfahrt. Hugo fügte das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit
hinzu, Petri Kettenfeier, Allerheiligen, den Martinstag, Allerheiligen und das Kirchweihfest. Vgl. dazu
J. Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften, S. 340.
609 B. Tutsch, Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 87.
610 Simon, Gesta, II, c. 65, S. 648; c. 67, S. 649.
611 I. Cochelin, Community and Customs; Dies., When Monks were the Book; S. Boynton, Oral Transmis-
sion; Dies., Training for the Liturgy.
Fußwaschung der Brüder - an bestimmten Feiertagen ein, auf die iwvenes, auf die
Vigilien der Heiligenfeste und auf den Kirchenschmuck.605
Besonders interessant an diesem Schreiben sind die durchaus kritischen Töne
aus Cluny bezüglich des mandatum. So heißt es: »Warum verändert ihr die alten
Gewohnheiten nach unserem Vorbild, ohne dass es notwendig wäre? Wir tun dies
nämlich mehr aus Notwendigkeit denn aus Gewohnheit [...].«606 Die Cluniazen-
ser spielen hier auf die Vorverlegung des mandatum an und ebenso auf den zwi-
schen Anfang Oktober und dem Martinsfest gewährten Trank zur Non.607 Unter
Abt Odilo und Hugo von Cluny sei die samstägliche Fußwaschung der Brüder
angesichts der steigenden Konventsstärke und der liturgischen Verpflichtungen an
bestimmten Festtagen aus der Notwendigkeit heraus vorverschoben worden.608
Anders verhalte es sich aberin kleineren Häusern, denn dort habe man genügend
Zeit, um die antiquas consuetudines aus Cluny zu befolgen.609 Nach Tutsch zeigt
dieses Beispiel, »daß über Nachfragen zu den Consuetudines offensichtlich schon
begonnene oder beabsichtigte Umsetzungen der cluniazensischen Gewohnheiten in
Cluny bekannt wurden [...].«
Das hier vorgestellte Schreiben muss somit aus der Anfangszeit der correctio
Saint-Bertins stammen und bietet interessante Einblicke in den Umgang dieser Ge-
meinschaft mit den Consuetudines. Während Simon in seinen Gesta davon berich-
tet, dass Abt Lambert den ordo cluniacensis in Cluny selbst erlernt habe und in der
Folge Cluniazenser nach Sithiu gekommen seien,610 macht das in die Handschrift
inserierte Schreiben deutlich, dass man sich in Sithiu nicht ganz auf das docere ver-
bo et exemplo verlassen hat.611 Vielmehr hat es den Anschein, als habe man sich
zumindest in der ersten Zeit sehr stark am geschriebenen Wort orientiert und bei
605 Vgl. dazu B. Tutsch, Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 81 und Anm. 9.
606 B. Tutsch, Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 87: »Sed quid ad vos? Cur antiquas consue-
tudines exemplo nostro convellitis sine aliqua necessitate. Nos enim hec agimus necessitate potius quam
consuetudine [...]. Sed cur hec vos quibus nonnumquam dies usque ad fastidium habundatur.«
607 Zum monastischen Ritual der Fußwaschung vgl. allgemein J. Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zei-
chenhaften, S. 335-369; Ders., Die Samstagsfußwaschung. Zum mandatum in Cluny v.a. ebd., S. 262-
265. Nach der Fußwaschung folgte die collatio, die auch als caritas bezeichnet wurde und mit einem
gemeinsamen Trunk von Wein einherging. Dazu vgl. Ders., Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften,
S. 327-334; Ders., On the Way to Heaven, S. 31-36.
608 Vgl. dazu auch Bernhard, Ordo Cluniacensis, II, 24, S. 332. Dieser Hinweis findet sich auch bei Ulrich,
Consuetudines, I, 14, S. 664B; falls ein Hochfest auf den Samstag oder Sonntag fiel, wurde das manda-
tum auf den vorherigen Donnerstag vorverlegt. Bei den Festen handelte es sich seit Odilo um Weihnach-
ten, Pfingsten, Peter und Paul und Mariä Himmelfahrt. Hugo fügte das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit
hinzu, Petri Kettenfeier, Allerheiligen, den Martinstag, Allerheiligen und das Kirchweihfest. Vgl. dazu
J. Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften, S. 340.
609 B. Tutsch, Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 87.
610 Simon, Gesta, II, c. 65, S. 648; c. 67, S. 649.
611 I. Cochelin, Community and Customs; Dies., When Monks were the Book; S. Boynton, Oral Transmis-
sion; Dies., Training for the Liturgy.