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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Editor]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0146
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142 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

gelassen hatten, Kleriker, Bauern und schließlich auch Kinder.615Simon beschreibt
hier einen regelrechten Boom von Konversionen, der nahezu alle sozialen Schich-
ten ergriff.616 Entscheidend ist jedoch nicht, dass die genannten Gruppen sich für
ein frommes Leben entschlossen, sondern dass sie in Saint-Bertin aufgenommen
wurden. Die Wiedereinführung der Regelobservanz in Sithiu führte folglich zu
grundlegenden Veränderungen auf personeller und sozialer Ebene: Wo einst Mön-
che lebten, die, wie ihr aufwendiger Lebensstil zeigt, sicher vorwiegend aus dem
adligen Milieu stammten, fanden sich nun Männer aus allen sozialen Schichten. Die
correctio Saint-Bertins setzte somit einer allzu elitären Rekrutierung der Brüder ein
Ende und öffnete die Klosterpforten für all jene, die dort das Heil suchten. Dieses
Phänomen, das auch in zahlreichen anderen Fällen dokumentiert wird, drückt nach
Dominique Iogna-Prat den Universalanspruch Clunys aus.617 Ob in der Aufnah-
me breiter Bevölkerungsschichten in Sithiu tatsächlich eine mögliche »cluniazen-
sische Ideologie« eine Rolle spielte, oder womöglich ganz andere Interessen von
Bedeutung waren, lässt sich nicht sicher entscheiden.618
Nach Simons Bericht wurden diese neuen Mönche oder Konversen - eine ge-
naue Unterscheidung nimmt der Chronist nicht vor - vor allem durch die Strenge
und Neuartigkeit der dort gelebten religio angezogen.619 Der enorme Erfolg, den
diese neue Lebensweise mit sich brachte, lässt sich auch quantitativ fassen, wenn es
heißt, dass dort nun in kürzester Zeit mehr als 120 Brüder lebten.620 Simons Zeitge-
nosse Hermann von Tournai weiß zu berichten, dass es Lambert gelungen sei, die
Gemeinschaft von 12 auf über 150 Mönche anwachsen zu lassen.621

615 Simon, Gesta, II, c. 68, S. 649: »Nom tarnen Deus destituit hunc locum servitio divino; nam religione
spirante, monachi de indisciplinatis coenobiis, milites sua relinquentes, clerici, rustici, pueri ad conver-
sionem certatim currentes, multa donaria ecclesiae contulerunt.«
616 Vgl. dazu die Beschreibung des religiösen Aufbruchs in den Monodiae Guiberts von Nogent; siehe dazu
oben S. 60.
617 D. Iogna-Prat, Ordonner et exclure, S. 46-47.
618 Simon betont v. a. das wirtschaftliche Interesse Lamberts an den zahlreichen Klostereintritten und blen-
det die spirituelle Seite mehr oder weniger aus. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, da Simon seinen
Lehrer diesbezüglich offen kritisiert.
619 Simon, Gesta, II, c. 68, S. 649: »Novitas enim et fervor religionis plurimos incitaverat.«
620 Simon, Gesta, II, c. 68, S. 649: »[...] in brevi coadunatis plus quam 120 fratribus [...].« Eine Zunahme
der Klostereintritte unter Abt Lambert lässt sich auch aus einer erhaltenen Professliste belegen. Die Liste
zählt die Namen von 38 Mönchen auf, die unter Abt Lambert die Profess abgelegt hatten. Zu dieser
Professliste vgl. S. Vanderputten, Monastic Recruitment in an Age of Reform.
621 Hermann, Liber, c. 80, S. 134: »[...] ubi prius vix XII monachos invenisses, postmodum CL omni abun-
dantia refertos reperisses.«
 
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