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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0150
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146 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

Offenbar fürchtete man, dass unter ihrer Führung die Cluniazenser an die Macht
kommen und die Freiheit der Abtei erneut in Frage gestellt werden könnte. Die
»flandrisch-cluniazensischen« Professmönche nahmen somit eine Art Mittlerrolle
ein: Zum einen wurden sie weiterhin zu den flandrischen Mönchen gezählt, zum
anderen war man sich darüber im Klaren, dass sie durch ihre ursprünglich in Cluny
abgelegte Profess weiterhin in Verbindung mit der burgundischen Abtei standen,
wenngleich das bereits erwähnte Schreiben Papst Paschalis’ II. von 1112 sie von
ihrer Profess entbunden hatte.635
Welche Funktion hatten nun aber die Cluniazenser und die »flandrisch-clunia-
zensischen« Professmönche zu diesem Zeitpunkt in Saint-Bertin? Aus Simons Be-
richt ist zu entnehmen, dass sich die Gemeinschaft während der Krankheit Lam-
berts in einer schweren Krise befunden hatte. Die neue interimistische Leitung der
»flandrisch-cluniazensischen« Professmönche war nicht im Stande, die Wirtschaft
des Klosters und die Disziplin in der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten.636 Daran
konnten nach Simon offenbar auch die Cluniazenser nichts ändern. Hieß es einige
Kapitel zuvor, dass die 1101 nach Saint-Bertin gekommenen Cluniazenser vor al-
lem die religio und disciplina wiederhergestellt hatten, lag letztere nun erneut im
Argen.637 Simon impliziert damit, dass die Präsenz der Cluniazenser an Legitimität
verloren hatte. Mehr noch, sie waren maßgeblich daran beteiligt, in der Gemein-
schaft Unruhe zu stiften und zu einer wenig frommen Atmosphäre beizutragen.
Dieser Darstellung ist freilich mit äußerster Vorsicht zu begegnen, wird in ihr
doch ein Grund für Simons tiefe Abneigung gegenüber den Cluniazensern greif-
bar, nämlich ihre Schuld an seinem Sturz als Vicarius.638 Während die »flandrisch-
cluniazenischen« Professmönche ebenfalls wenig aufrichtig die Wahl Simons als
eine Art Kompromiss in die Wege leiteten, wirft Simon den Cluniazensern Macht-
gier, Neid und Hass als Motive vor. Der Hinweis, dass wohl einige der Cluniazen-
ser, die das Kloster aus Protest verlassen hatten, Ambitionen auf die Abtswürde
hatten, ist ein nicht unwichtiges Detail. Offenbar hegten die Cluniazenser weiterhin
die Hoffnung, die Leitung oder zumindest wichtige Schlüsselpositionen mit Mön-
chen aus ihren Reihen zu besetzen. Doch gegen die freie Wahl der Mönche von

635 Zum Misstrauen gegenüber diesen flandrisch-cluniazensischen Professmönchen vgl. die Absetzung des
cluniazensischen Großpriors durch Johannes II. Simon, Gesta, II, c. 109, S. 657. Der Brief Paschalis’ II.
an Lambert entbindet zwar die cluniazensischen Mönche von ihrem Gehorsamsgelübde gegenüber dem
Abt von Cluny (M. Sdralek, Wolfenbüttler Framente, S. 114-115), die weiteren Ereignisse machen aber
deutlich, dass sie sich weiterhin an Cluny gebunden fühlten.
636 Zur wirtschaftlichen Situation siehe oben S. 125.
637 Simon, Gesta, II, c. 67, S. 649; von der religio ist in c. 106 nicht die Rede.
638 In dieser Darstellung wird aber sicherlich nicht nur die Schuld der Cluniazenser an seiner Absetzung als
Vicarius verarbeitet, sondern auch seine Absetzung als Abt, die Simon selbst mit keinem Wort erwähnt.
 
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