186 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
Einige der Mönche aus Gent kannten aber manche der Prioren aus Saint-Bertin
bereits vor deren Ankunft. In einer Vision sahen sie nämlich, wie unbekannte Mön-
che das Te Deum von Anfang bis Ende sangen und am Ende eines jeden Verses ein
Sande Bertine kyrie eleison hinzufügten. Diese Vision, so Simon, nehme das künf-
tige Ereignis vorweg, denn mit der Hilfe des heiligen Bertinus habe sich der Herr
des genannten Klosters erbarmt.
Von Sint-Pieters aus habe sich nun der fervor regularis entzündet. Das Kloster
habe in seiner religio alle anderen Klöster überstrahlt, und viele hätten eine correctio
von dort angenommen. Zunächst die Abtei von Sint-Baafs, deren Mönche dazu
gezwungen werden mussten, und dann viele andere Klöster in Flandern.805 Indessen
habe der Eifer Abt Lamberts noch vor seiner Krankheit und Altersschwäche abge-
nommen und sei beinahe ganz erloschen.806
Der Fall von Sint-Pieters in Gent folgt ebenfalls dem bereits bekannten Muster,
wonach die Initative zur correctio vom Abt ausging, Unterstützung beim Grafen
fand und sich letztlich gegen den Willen der Brüder durchsetzen konnte. Der Hin-
weis auf das »Joch der Disziplin«, unter das die Mönche gespannt werden sollte,
greift erneut die Semantik von Zwang und Unfreiwilligkeit auf. Das schlechte Le-
ben der Brüder und ihr Widerstand gegen Neuerungen stehen sinnbildlich für die
Abkehr von der Regel und von so zentralen Idealen wie dem Gehorsam gegenüber
dem Abt. Damit eröffnet sich eine weitere Dimension der correctio - nämlich ihre
disziplinierende Wirkung. Simons Text impliziert, dass wie in den übrigen Beispie-
len auch in der Gemeinschaft von Sint-Pieters keinesfalls ein Geist der unanimitas
herrschte, was zum Teil durch die Abkehr vom Geist der Regel zu erklären ist. Um
nun aber innere Konflikte und den mangelnden Gehorsam der Brüder zu unterbin-
den, bot sich für Abt Arnold die besagte correctio durch Mönche aus Saint-Bertin
an.
Dieses Beispiel ist auch dahingehend von Bedeutung, dass Sint-Pieters nun selbst
bedeutende Impulse zur correctio von Klöstern in der Gegend gegeben habe. Für
Simon war es deshalb besonders wichtig, die Rolle und den Anteil seines Klos-
805 Zum schwierigen Verhältnis der Abteien Sint-Pieters und Sint-Baafs in Gent vgl. G. Declercq, Blandi-
num rond het jaar 1000.
806 Simon, Gesta, II, c. 102, S. 655-656: »Quorum adventum quidam eorum ex prioribus iam antea pra-
enoscens, in somnis se vidisse testatus est quosdam incognitos in choro Te Deum laudamus ab initio
usque ad finem cantantes et in fine uniuscuiusque versiculi sublimi voce adicientes: >Sancte Bertine,
kyrieeleyson!’ Cuius visionis presagium futurorum praetendebat eventum; nam, beato opitulante Ber-
tino, misertus est Dominus populo suo et heriditatem suam non despexit in Sancti Petri coenobio. Ubi
adeo et tune et postea regularis incanduit, ut superexcelleret in religione omnes aecclesias, a quibus ea
tempestate admissa est correctio. Quae et a cenobitis Sancti Bertini, licet coactis, non multo post tempore
suscepta et a nonnullis aliis Flandrarum monasteriis est incepta; sed ipso patre pre infirmitate et senecta
debilitato, coepit tepescere et pene usque in defectum languescere.«
Einige der Mönche aus Gent kannten aber manche der Prioren aus Saint-Bertin
bereits vor deren Ankunft. In einer Vision sahen sie nämlich, wie unbekannte Mön-
che das Te Deum von Anfang bis Ende sangen und am Ende eines jeden Verses ein
Sande Bertine kyrie eleison hinzufügten. Diese Vision, so Simon, nehme das künf-
tige Ereignis vorweg, denn mit der Hilfe des heiligen Bertinus habe sich der Herr
des genannten Klosters erbarmt.
Von Sint-Pieters aus habe sich nun der fervor regularis entzündet. Das Kloster
habe in seiner religio alle anderen Klöster überstrahlt, und viele hätten eine correctio
von dort angenommen. Zunächst die Abtei von Sint-Baafs, deren Mönche dazu
gezwungen werden mussten, und dann viele andere Klöster in Flandern.805 Indessen
habe der Eifer Abt Lamberts noch vor seiner Krankheit und Altersschwäche abge-
nommen und sei beinahe ganz erloschen.806
Der Fall von Sint-Pieters in Gent folgt ebenfalls dem bereits bekannten Muster,
wonach die Initative zur correctio vom Abt ausging, Unterstützung beim Grafen
fand und sich letztlich gegen den Willen der Brüder durchsetzen konnte. Der Hin-
weis auf das »Joch der Disziplin«, unter das die Mönche gespannt werden sollte,
greift erneut die Semantik von Zwang und Unfreiwilligkeit auf. Das schlechte Le-
ben der Brüder und ihr Widerstand gegen Neuerungen stehen sinnbildlich für die
Abkehr von der Regel und von so zentralen Idealen wie dem Gehorsam gegenüber
dem Abt. Damit eröffnet sich eine weitere Dimension der correctio - nämlich ihre
disziplinierende Wirkung. Simons Text impliziert, dass wie in den übrigen Beispie-
len auch in der Gemeinschaft von Sint-Pieters keinesfalls ein Geist der unanimitas
herrschte, was zum Teil durch die Abkehr vom Geist der Regel zu erklären ist. Um
nun aber innere Konflikte und den mangelnden Gehorsam der Brüder zu unterbin-
den, bot sich für Abt Arnold die besagte correctio durch Mönche aus Saint-Bertin
an.
Dieses Beispiel ist auch dahingehend von Bedeutung, dass Sint-Pieters nun selbst
bedeutende Impulse zur correctio von Klöstern in der Gegend gegeben habe. Für
Simon war es deshalb besonders wichtig, die Rolle und den Anteil seines Klos-
805 Zum schwierigen Verhältnis der Abteien Sint-Pieters und Sint-Baafs in Gent vgl. G. Declercq, Blandi-
num rond het jaar 1000.
806 Simon, Gesta, II, c. 102, S. 655-656: »Quorum adventum quidam eorum ex prioribus iam antea pra-
enoscens, in somnis se vidisse testatus est quosdam incognitos in choro Te Deum laudamus ab initio
usque ad finem cantantes et in fine uniuscuiusque versiculi sublimi voce adicientes: >Sancte Bertine,
kyrieeleyson!’ Cuius visionis presagium futurorum praetendebat eventum; nam, beato opitulante Ber-
tino, misertus est Dominus populo suo et heriditatem suam non despexit in Sancti Petri coenobio. Ubi
adeo et tune et postea regularis incanduit, ut superexcelleret in religione omnes aecclesias, a quibus ea
tempestate admissa est correctio. Quae et a cenobitis Sancti Bertini, licet coactis, non multo post tempore
suscepta et a nonnullis aliis Flandrarum monasteriis est incepta; sed ipso patre pre infirmitate et senecta
debilitato, coepit tepescere et pene usque in defectum languescere.«