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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0219
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5. Die correctio von Saint-Bertin: Folgerungen | 215

Bereich und damit auf die Beziehungen zwischen Sithiu und Cluny beschränkt wer-
den darf. Sie zielte weit mehr auf Veränderungen in den Beziehungen mit ihrem
direkten sozialen Umfeld ab.
Das Beispiel Sithius erlaubt zudem wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Frage
nach der Umsetzung jener rechtlichen und spirituellen Verpflichtungen, die mit der
Übertragung an Cluny einhergingen. In diesem Zusammenhang kommt dem Kon-
flikt mit Pontius von Cluny große Bedeutung zu, da Abt Lambert sich davor fürch-
tete, gegenüber dem »Abt der Äbte« Rechenschaft über seine Amtsführung ablegen
zu müssen. Da er immer wieder mehr oder weniger unabhängig von Cluny agierte,
war diese Angst auch durchaus begründet. Sie zeugt vom großen Ermessensspiel-
raum, den sich Lambert bei der Umsetzung der correctio in seiner Gemeinschaft
und beim Umgang mit den cluniazensischen Professmönchen einräumte. Lambert
und vor allem das Grafenhaus hatten somit ein ganz anderes Rechtsverständnis als
die cluniazenische Gegenseite und eben dies führte zur Eskalation des Konflikts.
In seinem zweiten Buch der Gesta abbatum führt Simon dem Leser vor Augen,
wie die Gemeinschaft von Sithiu durch die Einführung des ordo cluniacensis großen
Erfolg hatte: vor allem die enorme Zahl der Klostereintritte macht dies deutlich.
Dieser Erfolg war allerdings - betrachtet man das zweite Buch in seiner Gesamt-
heit - keinesfalls von Dauer, trug er doch mit dazu bei, dass die discordia Einzug in
die Gemeinschaft hielt. Einen Grund hierfür sieht Simon in der veränderten Rek-
rutierungspraxis: Stammten die Mönche bislang vor allem aus dem adligen Milieu,
öffnete das Kloster nun seine Pforten für jedermann, wodurch sich ganz eigene Dy-
namiken entwickeln konnten: Über diese neuen Mönche knüpfte die Gemeinschaft
Verbindungen mit dem ministerialen oder bürgerlichen Milieu und modifizierte
dadurch die Beziehungen mit ihrem sozialen Umfeld nachhaltig. Für einige von
ihnen eröffneten sich mit der in Cluny abgelegten Profess ganz neue Möglichkeiten:
Sie hatten damit nämlich gute Chancen, nicht nur in Saint-Bertin, sondern auch in
anderen Gemeinschaften der Grafschaft wichtige klösterliche Ämter zu bekleiden.
Die correctio von Saint-Bertin bot somit nicht zuletzt den Familien dieser Mönche
Möglichkeiten, ihren Einfluss auf diese und andere Gemeinschaften auszuweiten
und dadurch an Rang und Ansehen zu gewinnen. Dennoch war nicht allein die
Profess in Cluny ausschlaggebend für den Aufstieg in solche Ämter: Nicht we-
niger wichtig war die persönliche Eignung des Mönchs. Mit dem zunehmenden
Erfolg Saint-Bertins verstärkte sich also auch die Einbindung der Gemeinschaft
in die Welt. Der Einfluss der Außenwelt auf das Kloster ist deshalb eines der zen-
tralen Themen des zweiten Buchs der Gesta abbatumx Das Erinnern an den engen
Kontakt mit dem sozialen Umfeld des Klosters und besonders mit dem Grafenhaus
dient zum einen dazu, kollektive Identität zu stiften, zum andern aber auch als War-
nung, trug doch eben dieses enge Verhältnis dazu bei, dass sich Intrigen, Missgunst
 
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