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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0220
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216 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

und Hass im Kloster verbreiteten. Simons Text verweist mit seiner starken Tendenz
daher auch auf einen Bereich, der im Zusammenhang mit einer correctio äußerst
selten thematisiert wird, nämlich die Ebene der zwischenmenschlichen Beziehun-
gen: Die in Sithiu lebenden Cluniazenser waren demnach alles andere als selbstlose,
fromme Männer, die religio et disciplina wiederherstellten; im Gegenteil: Auch sie
verfolgten eigennützige Ziele und schreckten auch im weiteren Verlauf nicht vor
Intrigen zurück.
Hinter diesem negativen Bild der Gemeinschaft steht letztlich der Vorwurf, kein
gottgefälliges Leben zu führen. In einer Gemeinschaft, die große Anstrengungen
unternommen hatte, die besten bekannten klösterlichen Gewohnheiten zu erhal-
ten, wiegt dieser Vorwurf schwer. Der ordo cluniacensis spielte bei der correctio
von Saint-Bertin eine sehr wichtige Rolle und wurde zu Beginn wohl auch äußerst
treu befolgt. Während des Konflikts mit Cluny ließ Abt Lambert vom Papst zu-
dem bestätigen, weiterhin die Gewohnheiten von Cluny befolgen zu dürfen. Inte-
ressanterweise wurde der ordo cluniacensis während des gesamten Konflikts mit
der burgundischen Abtei nie zum Sinnbild für die Präsenz und die Ansprüche der
Cluniazenser; mögliche Boykottaktionen lassen sich nicht nachweisen. In Saint-
Bertin war der ordo cluniacensis somit nicht der Träger korporativer Identität, das
heißt Zeichen für die spirituelle und rechtliche Abhängigkeit von Cluny, sondern
ein Träger der kollektiven Identität von Saint-Bertin. Dass sich die Gemeinschaft
nach und nach von einer buchstabengetreuen Befolgung des Ordos löste, zeigen
schließlich jene Veränderungen, denen er seit Abt Leonius unterzogen wurde. Si-
mons implizierter Vorwurf, in Saint-Bertin werde angesichts des Konflikts mit
Cluny kein gottgefälliges Leben geführt, lässt eines erkennen: Pür die Zeitgenossen
war ein wahrhaft frommes Leben nicht allein an die Befolgung von Gewohnheiten
gebunden. Viel entscheidender war eine Verinnerlichung grundlegender monasti-
scher Ideale.
Eben dies wird vor allem im ersten Buch der Gesta abbatum sehr deutlich. Die-
sem Text kommt eine besondere Bedeutung zu, da er in direkter Verbindung zu Abt
Lamberts correctio steht und diese maßgeblich unterstützen sollte. Simon erinnert
daher nicht nur an die correctiones vergangener Tage, sondern auch an eminent
wichtige klösterliche Ideale, die zur Zeit der Abfassung des Textes von besonderer
Aktualität waren: Er griff dabei monastische Tugenden auf, die dazu dienen sollten,
den innerklösterlichen Frieden zu wahren, und gerade in der Anfangsphase der
correctio von zentraler Bedeutung waren (oboedientia, religio, disciplina). Weitere
besondere Ideale, an die Simon erinnerte und die die correctio unterstützen sollten,
waren die Armenspeisungen, der Verzicht auf Eigenbesitz, die Einhaltung der Klau-
sur und des Keuschheitsgebots. Bei diesen Idealen handelte es sich um Grundpfeiler
des Mönchseins, die im Kontext einer correctio zunächst weit wichtiger waren als
 
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