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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0277
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4. Veränderungen in den Besitz- und Herrschaftsstrukturen | 273

schwerer Verlust. Galbert bemerkt, dass nun der heilige Jonatus, wie das Wunder
von Sailly zeigt, die Rolle des Beschützers übernommen habe.1134
In Sailly-en-Ostrevent, so erfährt man, habe zu dieser Zeit ein gewisser Balduin
die Schutzrechte (Vogteirechte) an ihrem Dorf usurpiert und von den Bewohnern
die Summe von zwölf Mark Silber verlangt. Nachdem ein Großteil davon bereits
verbraucht worden war, habe er von ihnen abermals hundert Schillinge verlangt.
Dieselbe Summe Geldes oder mehr sollten sie an seinen Vorgänger, Hugo II. von
Oisy, zahlen, damit er mit dem neu ernannten Grafen Wilhelm Frieden schließen
könne.1135 Hugo habe den Bewohnern von Sailly Gewalt angedroht, falls sie ihm
nicht dieselbe Summe oder mehr zahlten. Diese Summen hätte das Dorf allerdings
nicht tragen können.1136
Die Ermordung Karls stellte nach der Darstellung Galberts die bestehende
Ordnung in Frage: Dienstleute des Klosters traten in den Dienst anderer, um wie-
derum deren Politik gegenüber Dritten zu unterstützen. Gerade das Dorf Sailly-
en-Ostrevent bereitete dem Kloster in jener Zeit immer wieder Schwierigkeiten.
Hiervon zeugt insbesondere das Strafwunder an Stephan von Sailly, dem Maier des
Dorfes, das für die Abtei wohl so eindrücklich und bedeutend war, dass es sowohl
in Galberts Miracula als auch in sein Patrocinium Eingang fand.1137 Dass Sailly zu
jenen Besitzungen des Klosters gehörte, die ihm besondere Probleme bereiteten,
lag zum einen daran, dass es in der viel umkämpften Gegend des Ostrevent gelegen
war, und zum anderen daran, dass es eines jener Dörfer war, die einst zum Besitz
von Hamage gehört hatten. Wenngleich Sailly bereits 1122 als Besitz des Klosters
bestätigt wurde, zeigen die Probleme mit den lokalen Amtsleuten sehr wohl, dass
die Besitzverhältnisse keineswegs endgültig geklärt waren. Ein probates Mittel der
Mönche war es daher, dem Besitzanspruch des Klosters durch die Präsenz der Hei-
ligen Nachdruck zu verleihen.

1134 Karl der Gute wurde nach seinem Tod von den Zeitgenossen wie ein Heiliger verehrt. Hermann von
Tournai, Liber, c. 35, S. 71, der bei der Graböffnung anwesend war, berichtet von einem Wohlgeruch,
der von dem Leichnam ausgegangen sei und zieht damit eine deutliche Parallele zu einem Heiligen.
In ähnlicher Weise wird Karl in dem Bericht Galberts von Brügge als Märtyrer stilisiert. Vgl. dazu
M. Czock, »Gott schenkte ihm die Märtyrerpalme«, S. 121-132, Zu Galbert von Marchiennes vgl.
S. Vanderputten, Charles de Flandre et saint Jonat, S. 277-294.
1135 S. Vanderputten, A miracle of Jonatus, S. 65-66, zum Text ebd., c. 7, S. 84-87.
1136 S. Vanderputten, A miracle of Jonatus, c. 7, S. 86: »Unde nobis alimenta et parvulis nostris? lam fere a
nihilum redacti sumus.«
1137 Galbert, Patrocinium, c. 5, S. 152F-153B; Galbert, Miracula, II, c. 1, S. 135F-136B. Stephan wurde
beim Versuch, seinen unrechtmäßigen Besitz gegen ein durchziehendes Heer zu verteidigen, so schwer
verletzt, dass er bald darauf starb. Eine ausführliche Analyse dieses Falls findet sich bei H. Platelle,
Crime et chätiment, S. 184-185.
 
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