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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0280
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276 | II. Die Abtei von Marchiennes

fing er als Konverse von Abt Fulchard, unter dem er bereits zuvor als Laie gedient
hatte.1141
Indem Bruder Fulchard allen weltlichen und fleischlichen Begierden abgeneigt
war, führte er bereits vor seinem Eintritt in Marchiennes ein Leben, das dem eines
Mönchs in Vielem glich. Mit dieser Einstellung, aber auch mit der Tatsache, dass er
keine Frau und keine Kinder hatte und somit keine Bindung mit der Welt eingegan-
gen war, scheint er auf den ersten Blick optimale Bedingungen für ein monastisches
Leben mitgebracht zu haben. Galbert räumt aber sofort ein, dass auch noch so
fromme und gute Menschen nicht frei seien von Versuchungen.1142 An anderer Stelle
spricht er davon, dass Bruder Fulchard, als er in das Kloster aufgenommen wurde,
zwar den nötigen Enthusiasmus für das dortige Leben mitbrachte, aber darin noch
keinesfalls erprobt, sondern ein religionis novitiae monachus war.1143 Fulchard sei
daher von Gott immer wieder auf die Probe gestellt worden.
Dies zeigt sich gleich zu Beginn seines monastischen Lebens, als er großen
Schmerz über den Tod seiner Brüder verspürte und sich zudem große Sorgen um die
allein zurückgelassene Mutter machte.1144 Beide Situationen machen deutlich, dass
Fulchard noch nicht vollkommen mit der Welt gebrochen hatte, sondern mit sei-
nen Gedanken und Gefühlen weiterhin darin verhaftete war. Als seine Mutter aber
verstorben war, habe er sich nicht mehr um ihr irdisches Wohl, sondern um ihr See-
lenheil gekümmert und für ihre Seele gebetet. Eines Nachts habe er in der dunklen
Kirche seine Gebete verrichtet und sich sodann an einem großen schweren Balken,
den er nicht gesehen hatte, so schwer den Unterleib gestoßen, dass seine Eingeweide
plötzlich nach unten sackten.1145 Dieser Skrotalbruch bereitete Bruder Fulchard au-
1141 Galbert Patrocinium, c. 1, S. 140E: »[...] in priori monachorum conventu necdum ordine posito Lai-
cum sub Abbate Fulchardo, & Conversum postea in ipso [...].«
1142 Galbert, Patrocinium, c. 1, S. 140F: »Verumenimvero bonis ac fidelibus viris etiam in operibus justis
tentationes non desunt, quibus vel conflentur vitia, si viriliter resistant, vel ad augmentum virtutum, si
nihil est excoquendum, proficiant.«
1143 Galbert, Patrocinium, c. 1, S. 140E: »[...] ut ita dicam, religionis puncto, multae devotionis, atque
amantem in aliis, quod nondum in se poterat experiri, religionis novitiae monachum [...].«
1144 Mit der Anspielung auf die Witwe von Sarepta könnte Galbert darauf anspielen, dass er seine Mutter
weiterhin aus dem Kloster heraus versorgte. Galbert, Patrocinium, c. 1, S. 140F: » [...] Quid igitur
mirum, si tentatus est non solum filius, verum etiam mulieris viduae cliens devotus? Imo quamvis
infra pedes Eliae, mulieri Sareptanae, quasi in lecyto & hydria farinae propitius, cui semper de servitio
matris, sicut Romano monacho de obsequio Benedicti Patris, invidebat inimicus? Incidit quidem in
primam tentationem, videlicet in dolorem fratrum defunctorum intolerabilem: sed non ideo destitit
ferre de matre laborem, imo laborando in vita sua fovebat, quam super omnia dilexerat, matrem.«
1145 Aus diesem Balken sollte eine Treppe in den Turm der Kirche gefertigt werden. Da er aber außeror-
dentlich schwer war, habe man ihn am selben Abend auf Anweisung Abt Fulchards in der Kirche zwi-
schenzeitlich abgelegt. Galbert, Patrocinium, c. 1, S. 141A-B: »Nec multo post, artubus graviter elisis,
incidit in secundam, re quidem, sed minime gemitu, a priore dissimilem; dum nocturnis horis rebus
monasterii anhelo passu faceret diligentiam; dum propositum mentis, quod prius versabatur in cura
carnalis, spiritualis matris verteret in custodiam. Conclamatum enim jam de parente sua fuerat, cujus
 
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