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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0282
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278 | II. Die Abtei von Marchiennes

Zum anderen habe sich zu diesem Zeitpunkt ein Mönch aus Tournai namens Gott-
fried in Marchiennes aufgehalten, der damit beschäftigt war, ein Matutinale für das
Kloster zu schreiben.1150 Er habe Fulchards Leistenbruch behandelt und mit Binden
umwickelt.1151 Dennoch habe Fulchard Angst vor jeder Bewegung gehabt, an eine
Heilung nicht mehr geglaubt und letztlich Tag für Tag seinen Tod erwartet.1152
Als er nun aufgrund seiner Krankheit untätig herumlag, nichts Nützliches tun
konnte und es ihn besonders schmerzte, dass er das Essen der anderen Brüder, die
Tag und Nacht im Gottesdienst wachten, verzehrte, sei ihm in den Sinn gekommen,
dass es in der Krypta der Kirche, in der die Heiligen des Klosters begraben lagen,
einen lockeren Stein über dem Altar gebe. Um sich nützlich zu zeigen, begab sich
Fulchard daher mit Mühen in die Werkstatt des Klosters und brachte alle nötigen
Dinge in die Krypta. Dort begann er nun damit, den losen Stein auszubessern. Da er
dafür auf eine Leiter steigen musste und mit seinem Leistenbruch nur mühsam mit
einer Hand arbeiten konnte, sei er bald erschöpft gewesen und habe sich auf dem
Boden neben den Gräbern der Heiligen ausgeruht. Als er erneut auf die Leiter stieg,
habe ihn ein starker Schmerz gepackt. Er sei zu Boden gegangen und habe dort
mehrere Stunden halb tot gelegen. Als er nun ein drittes Mal auf die Leiter stieg,
habe er sein Werk mit beiden Händen verrichten können und erst als es vollendet
war, bemerkt, dass sein Leistenbruch verschwunden war.
Aus Angst, von den anderen Brüdern der Lüge bezichtigt zu werden, entschied
er sich dafür, niemandem etwas von seiner Wunderheilung zu erzählen. Da Ful-
chard sich über seine Heilung aber freute und sich mehr als zuvor bewegte, habe
ihn der Schmerz erneut überkommen. Man habe ihn dreimal zur Ader gelassen, und
drei Wochen lang habe er das Bett gehütet. Täglich glaubten die Brüder, ihm das
Viaticum reichen zu müssen, doch Fulchard erholte sich. Da aber niemand von sei-
ner Heilung wusste und er es niemandem sagen wollte, simulierte er weiterhin seine
Krankheit. Als eines Tages Bruder Siger von Anchin erneut Marchiennes besuchte,
erkundigte er sich nach Fulchard, um den er sich ein Jahr zuvor gekümmert hatte.
singulos dies sibi offerebat; qui ex quadam familiaritate & religiosa affabilitate, eum familiarius ast-
rictum dilectionis in pectore gerebat; & quem consolabatur & relevando supportabat, consolando &
supportando relevabat: quem etiam patientiam Job edocebat, nec non de patientia ejusdem multiplici
& hic & in future remunerationem, sive de infirmitate tandem mutuandam aeternam consolationem.«
1150 Gottfried von Tournai wird bei Hermann, Liber, c. 75, 76 S. 130 als Schreiber des Klosters aufgeführt.
Er gehörte zu den ersten Gefährten Odos von Tournai.
1151 Galbert, Patrocinium, c. 1, S. 141E: »Dum vero humilis ex caritate ligaturas vellet coaptare, quas Do-
minus Godefridus Tornacensis monachus, qui in scribenda Matutinalium totius anni serie ibidem mo-
rabatur, de primitiis Ordinis cum ceteris agens, assueverat husjuscemodi infimitati circumferre.«
1152 Galbert, Patrocinium, c. 1, S. 141E: »Omnem tarnen tactum Frater infirmus, dolore nimio anxius,
refugiens vel magis abhorrens; [...] & licet Dominus noster de lapide posset excitare filium Abrahae,
saluti tarnen rediturae nequaquam confidebat, imo magis magisque mortem imminentem de die in diem
exspectabat.«
 
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