5. Die zeitgenössischen Texte als Überreste der correctio | 309
tigen Mönche wieder der religio verschrieben. Ihnen, so Galbert abschließend, sei
das ewige Leben versprochen, wenn sie an der propositio religionis festhielten.1250
Diesem Kapitel kommt in den Miracula Sanctae Rictrudis eine ganz besondere
Rolle zu, deutete es doch die gesamte correctio des Klosters eindeutig als ein Wun-
der, das auf die Patronin von Marchiennes zurückzuführen sei. Besonders auffal-
lend ist, dass Galbert in seiner Darstellung großen Wert darauf legte, die Gründe für
die Krise des Klosters genau zu schildern. Das hierbei gezeichnete Bild bricht mit
dem im Prolog entwickelten Denkmodell, das das ideale Verhältnis zwischen der
Heiligen und der Gemeinschaft definiert. So zeigt Galbert, dass weder die Mönche
noch der Abt ihren Aufgaben gerecht geworden waren. Die Mönche führten ein
unwürdiges Leben, weigerten sich, die bestehenden Missstände zu beseitigen und
verhielten sich ungehorsam gegenüber ihrem Abt und ihrem Bischof. Eine Stei-
gerung wird allerdings noch dadurch erreicht, dass die Mönche ihr Kloster ver-
ließen und später sogar damit begannen, die Einrichtung zu entwenden. Neben
den Mönchen hatte sich aber auch Abt Fulchard als besonders unwürdig erwiesen.
Auch wenn nicht ganz klar wird, welche Intention sich hinter seinem Versuch ei-
ner correctio verbarg, steht fest, dass er damit auf ganzer Breite versagte und sich
schon deswegen als wenig geeignet erwies.1251 Weit gravierender war aber sicher sein
nachfolgendes Verhalten, das nicht nur die Profanierung des Klosters, sondern auch
die Zerstreuung seiner Güter zur Folge hatte. Bereits hier wird ersichtlich, dass das
Verhältnis zwischen der heiligen Rictrud und der Klostergemeinschaft empfindlich
gestört war. Anstelle eines gegenseitigen Gebens und Nehmens trat nun auf Seiten
der Gemeinschaft ein einseitiges Nehmen. Nach der Aufgabe des klösterlichen Le-
bens und des Gottesdienstes waren sie dazu freilich in keiner Weise legitimiert; bei
der Entwendung des klösterlichen Besitzes begingen sie zudem Diebstahl an der
Patronin. Diese hatte sich von Marchiennes, wo ihre Gebeine ruhten, aber keines-
wegs abgewandt, sondern mit der Hilfe Gottes die Wiederherstellung des Klosters
bewirkt und dies nicht nur materiell, sondern auch spirituell: Dort wo nämlich
einst Ungehorsam und Zwietracht herrschten, war nun wieder ein Haus des Ge-
1250 Galbert, Miracula, I, c. 2, S. 128E: »Sicque pius Dominus continuas & assiduas preces B. Rictrudis
exaudivit, locum adeo neglectum relevavit; quem demum domum obedientiae effecit, atque collata
religione religioni servos Dei inibi coadunatos invigilare praecepit. Ex illo itaque tempore, verbi sa-
lutaris irrigatione corda eorum compluit; vitamque aeternam, si permanserint in proposito religionis,
promittit.«
1251 Zu den möglichen Motiven Fulchards vgl. den Hinweis (Annales Marcianenses, S. 615). Der Vorwurf
Fulchard habe das Klostergut an seine Verwandten ausgegeben aber auch die Klage der Brüder (Gal-
bert, Miracula, I, c. 2, S 127F), Fulchard habe ihr leibliches Wohl nicht genügend im Blick deuten an,
dass der Abt Besitz der mensa conventualis an seine Verwandten oder andere Laien ausgegeben hatte,
ohne Rücksprache mit den Mönchen zu halten. Dieses Phänomen, das freilich großes Konfliktpotential
birgt, lässt sich in vielen Klöstern finden. So auch z.B. in Saint-Bertin; siehe dazu oben Anm. 1084.
tigen Mönche wieder der religio verschrieben. Ihnen, so Galbert abschließend, sei
das ewige Leben versprochen, wenn sie an der propositio religionis festhielten.1250
Diesem Kapitel kommt in den Miracula Sanctae Rictrudis eine ganz besondere
Rolle zu, deutete es doch die gesamte correctio des Klosters eindeutig als ein Wun-
der, das auf die Patronin von Marchiennes zurückzuführen sei. Besonders auffal-
lend ist, dass Galbert in seiner Darstellung großen Wert darauf legte, die Gründe für
die Krise des Klosters genau zu schildern. Das hierbei gezeichnete Bild bricht mit
dem im Prolog entwickelten Denkmodell, das das ideale Verhältnis zwischen der
Heiligen und der Gemeinschaft definiert. So zeigt Galbert, dass weder die Mönche
noch der Abt ihren Aufgaben gerecht geworden waren. Die Mönche führten ein
unwürdiges Leben, weigerten sich, die bestehenden Missstände zu beseitigen und
verhielten sich ungehorsam gegenüber ihrem Abt und ihrem Bischof. Eine Stei-
gerung wird allerdings noch dadurch erreicht, dass die Mönche ihr Kloster ver-
ließen und später sogar damit begannen, die Einrichtung zu entwenden. Neben
den Mönchen hatte sich aber auch Abt Fulchard als besonders unwürdig erwiesen.
Auch wenn nicht ganz klar wird, welche Intention sich hinter seinem Versuch ei-
ner correctio verbarg, steht fest, dass er damit auf ganzer Breite versagte und sich
schon deswegen als wenig geeignet erwies.1251 Weit gravierender war aber sicher sein
nachfolgendes Verhalten, das nicht nur die Profanierung des Klosters, sondern auch
die Zerstreuung seiner Güter zur Folge hatte. Bereits hier wird ersichtlich, dass das
Verhältnis zwischen der heiligen Rictrud und der Klostergemeinschaft empfindlich
gestört war. Anstelle eines gegenseitigen Gebens und Nehmens trat nun auf Seiten
der Gemeinschaft ein einseitiges Nehmen. Nach der Aufgabe des klösterlichen Le-
bens und des Gottesdienstes waren sie dazu freilich in keiner Weise legitimiert; bei
der Entwendung des klösterlichen Besitzes begingen sie zudem Diebstahl an der
Patronin. Diese hatte sich von Marchiennes, wo ihre Gebeine ruhten, aber keines-
wegs abgewandt, sondern mit der Hilfe Gottes die Wiederherstellung des Klosters
bewirkt und dies nicht nur materiell, sondern auch spirituell: Dort wo nämlich
einst Ungehorsam und Zwietracht herrschten, war nun wieder ein Haus des Ge-
1250 Galbert, Miracula, I, c. 2, S. 128E: »Sicque pius Dominus continuas & assiduas preces B. Rictrudis
exaudivit, locum adeo neglectum relevavit; quem demum domum obedientiae effecit, atque collata
religione religioni servos Dei inibi coadunatos invigilare praecepit. Ex illo itaque tempore, verbi sa-
lutaris irrigatione corda eorum compluit; vitamque aeternam, si permanserint in proposito religionis,
promittit.«
1251 Zu den möglichen Motiven Fulchards vgl. den Hinweis (Annales Marcianenses, S. 615). Der Vorwurf
Fulchard habe das Klostergut an seine Verwandten ausgegeben aber auch die Klage der Brüder (Gal-
bert, Miracula, I, c. 2, S 127F), Fulchard habe ihr leibliches Wohl nicht genügend im Blick deuten an,
dass der Abt Besitz der mensa conventualis an seine Verwandten oder andere Laien ausgegeben hatte,
ohne Rücksprache mit den Mönchen zu halten. Dieses Phänomen, das freilich großes Konfliktpotential
birgt, lässt sich in vielen Klöstern finden. So auch z.B. in Saint-Bertin; siehe dazu oben Anm. 1084.